: 60 Prozent Rechtsempfinden
Ein Bonner Bodyguard im Spannungsverhältnis von Brötchengeber und Straßenverkehrsordnung / Das Maß des Menschlichen unter der „Käseglocke“ ■ B O N N A P A R T
* Wem ist ein Beamter verpflichtet? Dem Recht als gesamtideellen Dienstherrn oder dem Minister als aktuellem Brotgeber? Diese Frage wird derzeit vor den Schranken des Kölner Verwaltungsgerichts geprüft. Der Kläger, Beamter beim Bundeskriminalamt, war abgestellt zum Personenschutz des Gesundheitsministers Blüm (CDU). Das schwere Begleitschutzfahrzeug hintendrein ist in Bonn ebenso ein Zeichen errungener Bedeutung wie das ungeschriebene Recht zur eigenwilligen Interpretation der Verkehrsordnung.
Nun, der beamtete Bodyguard sollte Minister Blüm im Begleitfahrzeug folgen. Der Wille war da, sagt der Beamte, die Verhältnisse aber verhinderten die Ausführung. Auf der Autobahn habe er den „Kontakt zum Ministerfahrzeug abgebrochen“, weil er nicht schneller als 160 Stundenkilometer fahren wollte. Blüms Wagen sei 200 Sachen gefahren. Auf besagter Strecke galt nämlich ein Tempolimit von 100 Stundenkilometern. Exakt wie selten zuvor ist damit festgehalten, daß das Rechtsempfinden eines deutschen Beamten bei sechzig Prozent Überschreitung seine Grenze findet. Dennoch: Der Minister war vergrätzt. Es setzte eine Mißbilligung für die Personalakte; dagegen wehrt sich der Beamte nun. Das Verwaltungsgericht, das wegen der Berührung sicherheitsrelevanter Bereiche teilweise unter Ausschluß der Öffentlichkeit verhandelt, hat es schwer. Blüm nämlich leugnet, zu schnell gefahren zu sein - für jeden Kenner Bonner Politikergewohnheiten eine Schmunzelnummer.
* Das Maß des Menschlichen beschäftigte Kanzler Kohl
gestern anläßlich einer Ausstellungseröffnung zur „Hauptstadt Bonn“. Bonn sei wie die Menschen der vierzig Jahre jungen Bundesrepublik: beide mieden das Auftrumpfen und das Gigantische, sinnierte er. Wie viel Verarbeitung des eigenen Scheiterns an der sehnlich gewünschten Größe versteckt sich in solchen Worten? Auch an anderer Stelle griff der Kanzler zur vergleichenden Metapher. Vom „Himmel über Bonn“ sprach er; die ätherisch zeitverwunschene, selbstverlorene Größe des von Wim Wenders gezeichneten Berliner Firmaments als konkurrierender Gegenentwurf seines erdenschweren Polit-Gekrampfes drängte sich auf und blieb ungesagt. Statt dessen: Der Bonner Himmel sei eine „Käseglocke“. Und die miefige Atmosphäre, die sich darunter zusammenbraue, sei vom heimatlichen Ludwigshafen aus am besten zu qualifizieren. „Vieles von dem, was in der kleinen Bonner Politikwelt ungeheuer wichtig erscheint, schrumpft von außen betrachtet - auf sein normales Maß“, sprach Kohl.
Gerd Nowakowski
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