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Ecevit wieder in Bremen

■ Der frühere türkische Ministerpräsident kam auf Einladung der Bremer Universität Kontroverse mit Scherf über die Spaltung der türkischen Sozialdemokratie

Er sei der große alte Mann der türkischen Sozialdemokratie, gerät Henning Scherf bei den Abschiedsworten ins Schwärmen. Er gebe mit seiner Vitalität, seinem durch die Kerkerjahre hindurch ungebrochenen Engagement und seinem politischen Mut ein Beispiel für andere, sich nicht unterkriegen zu lassen: Bülent Ecevit, am 28. Mai 64 Jahre alt, Führer der sozialdemokratischen Partei und Ministerpräsident bis kurz vor dem Militär-Putsch 1980. Vor 15 Jahren, da haben beide Scherf und Ecevit - im Bremer Weser-Stadion eine große Versammlung abgehalten, gegen den warnenden Rat der Geheimdienstler, die Bombenanschläge fürchteten. Aber Ecevit wollte zu seinen in der Bundesrepublik lebenden Landsleuten sprechen, und Scherf als Bremer SPD-Landesvorsitzender half ihm dabei - 30.000 kamen, trotz schlechten Wetters.

Heute hat Ecevit, der die ersten Jahre der Militärherrschaft im

Gefängnis verbrachte, eine kleine Partei, Demokratische Links-Partei genannt (DSP), die auf 8% kommt, aber bei dem Mehrheitswahlrecht keinen Abgeordneten ins Parlament bekommen hat. Der Fachbereich Wirtschaftswissenschaft der Bremer Universität hat den großen alten Mann der türkischen Sozialdemokratie eingeladen, um ihn über den EG-Beitritt der Türkei zu hören.

Henning Scherf hatte den Gast in den Ratskeller geladen, aber nicht nur um Höflichkeiten auszutauschen. Denn Scherf ist vom Parteivorstand der SPD beauftragt, mit der Sozialdemokratischen Volks-Partei der Türkei, der SHP, Kontakte zu pflegen. Die Spaltung der Sozialdemokraten sei mit verantwortlich dafür, konfrontierte Scherf den Gast, daß die Konservativen weiter die Mehrheit der Parlamentssitze haben. Viele alte Freunde Ecevits sind inzwischen in der SHP, und die sagen, nur persönliche Motive könnten die Spaltung begründen.

Ecevit muß sich erst einmal eine Zigarette anstecken, als das Thema darauf kommt. Es sei „falsch, zu behaupten, daß diese Spaltung mit meiner Persönlichkeit zu tun hat“, dementiert er in aller Form. Die erfolgreiche Konkurrenz -Partei SHP habe kein Programm, sei ein Sammelsurium von Strömungen und erkläre heute dies, morgen jenes. Das ist nicht sein Verständnis von Partei. Zudem: Die SHP stehe zu dem undemokratischen Mehrheitswahlrecht, sie verspreche sich offenbar eine Mehrheit der Sitze, wenn zu ihren 22% noch einige dazukommen - wie kann man mit solch einer Partei die Demokratie wiederherstellen?

Scherf läßt nicht locker: Immerhin hat das alte Wahlsystem einen Ministerpräsidenten Ecevit genötigt, mit dem politischen Gegner zu koalieren, was mit dazu beigetragen hat, das Land in eine politische Krise und an den Rand des Militärputsches zu bringen. Ecevit antwortet glatt: Die

Situation der Türkei habe sich völlig geändert seit damals. Aber selbst wenn die SHP in der Frage des Wahlsystems einlenken würde - sich anschließen und eine „elfte Strömung“ bilden will, Ecevit nicht.

Auch Scherfs deutlicher Hinweis, der Präsident der SHP, der Physik-Professor Inönü, sei „total überfordert“, eigentlich auch kein Politiker und wolle gar nicht Präsident werden, bringt Ecevit nicht aus dem Konzept. Seine Partei, wiederholt er immer wieder, vertraue auf das „Volk“, das aufbegehrt, mutig ist, die Demokratie will. Seine Frau streitet an seiner Seite, „ich und meine Frau“ hat Bülent Ecevit ab und zu in seine Sätze eingeflochten. Rahel Ecevit hatte einige Monate lang auch einmal den Parteivorsitz inne, vertretungsweise, aber im Bremer Ratskeller ergriff sie nicht das Wort, sie flüsterte nur hin und wieder ihm ein paar Bemerkungen zu. Sie scheint seine engste Beraterin zu sein.

K.W.

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