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„Wir sind die letzte Rettung für die DKP“

Beim ersten öffentlichen „Meinungsaustausch“ fordern 500 DKP-ErneuererInnen aus Rheinland-Westfalen bürgerliche Freiheiten in der Partei / Radikale Kritik an Stalinismus verlangt / Langsamer Abschied von verinnerlichten Autoritäten  ■  Aus Bonn Petra Bornhöft

Siegfried sitzt allein. Von seinen rund sechzig GenossInnen aus Velbert ist der Langhaarige mit der dicken Kassenbrille der einzige, der sich zum „Strömungstreffen“ der DKP -Erneuerer ins Bonner Schulzentrum gewagt hat. Sorgfältig umfährt Siegfried mit beiden Händen die Ränder der Tagungsmappe und denkt nach. Nach zwanzig Jahren SDAJ und Partei fehlen ihm die Worte. Wie Tausende anderer halten den Genossen „nur noch die Beziehungen zu Freunden in der DKP“. Von dem Meinungsaustausch in Bonn erhofft er sich „neue Impulse“. Denn die von der Führung seit fünf Monaten im Munde geführte „Erneuerung“ findet in Velbert ebensowenig statt wie anderswo. Aber die Erosion in der Partei können die Hardliner nicht aufhalten. „So eine große Konferenz wie hier mit über 500 Mitgliedern des Bezirks Rheinland -Westfalen brächte die andere Seite nie zustande“, freut sich ein renitenter Mitarbeiter des Parteivorstands.

Allein die Teilnehmerzahl muß auf Oberkommunist Herbert Mies schweißtreibend wirken. Nichts haben sie unversucht gelassen seit dem Frankfurter Parteitag im Januar, die Kritik zum Schweigen zu bringen. Breitärschig an ihren Posten klebend, ersannen sie gegen „die ernste Krise“ die Formel von der „Erneuerung der DKP auf marxistisch -leninistischer Grundlage“.

Die nicht vorhandene Demokratie in der DKP war das Hauptthema des Bonner Meinungsaustauschs. Wie schwer der Abschied von seit Jahrzehnten verinnerlichten autoritären Denkstrukturen fällt, zeigt das Frauenplenum zu Beginn. Rund 200, dem Augenschein nach vornehmlich Mittdreißigerinnen, mühen sich redlich, „die Deformation in der marxistischen Erfassung von Frauenunterdrückung“ zu behandeln und wollen „über eigene Frauenstrukturen und -rechte in der Partei nachdenken“. Die Beispiele von Macho-Verhalten in der offiziellen Vorhut der Arbeiterklasse enthüllen finstere Realitäten: „Ich weiß, was Sex ist, aber von Sexismus versteh ich nix“ - solche männlichen Brüllwitze gegen Forderungen nach Diskussion scheinen üblich und sind ja kein DKP-Spezifikum.

Brutal indes das Erlebnis einer Frau, die ihren Namen nicht nennt. Bei den Weltfestspielen in Moskau habe ein Genosse ihre Freundin vergewaltigt. „Als ich das in meiner Grundeinheit ansprach, haben sie gesagt: Das ist dein Privatproblem.“ Schweigend lauschen die Frauen dem Bericht. Keine Nachfrage, obwohl die wenigsten zuvor von dieser Gewalttat gehört haben. In die Ratlosigkeit setzt eine Frau das allgemeine Fragezeichen: „Sollen wir in so einem Fall Repressionsmaßnahmen ausüben? Gehört so ein Genosse ausgeschlossen? Und wer bestimmt es? Ich möchte so einen Fall nicht der Schiedskommission überlassen.“

Bei den quotierten Beiträgen fällt einer Frau später die Endloskette von „weinerlichen Rechtfertigungsreden“ auf. Kaum jemand, der die Präsidiums-Vorwürfe wegen „Spaltung“, „Geheimtreffen“, „Fraktionierung“ nicht heftig zurückweist. Die Erneuerer wollen trotz großer Skepsis, „ob wir noch was reißen können“, in der Partei bleiben - aus unterschiedlichen Gründen.

Ein Genosse aus Köln, neben Hamburg, Bremen und Rheinland -Pfalz eine Hochburg der KritikerInnen, will „der anderen Seite nicht den Apparat, die 'UZ‘ und das Geld überlassen. Wir müssen die Mehrheit im Parteivorstand durch unsere Leute ersetzen.“ Andere der vornehmlich jüngeren Teilnehmer warnen vor „einem fatalen Machtkampf um die Fleischtöpfe der Partei“. Sie verlangen nur „das früher bürgerlich -demokratische Recht der Versammlungsfreiheit in der DKP“, wollen „Meinungspluralismus“ und sich „nicht permanent am Apparat, seinen 120jährigen Zitaten und aktuellen Beleidigungen abarbeiten müssen“. Einigkeit besteht nur darüber, so ein zurückgetretener, langjähriger Chefideologe des Parteivorstandes: „Wir sind die letzte Rettung der DKP. Wenn wir es nicht schaffen, glaubwürdig die Demokratie in der Partei zu verankern und uns nicht radikal von allen Formen des Stalinismus verabschieden, kann die Partei sich endgültig begraben.“

Noch bilden die „Erneuerer wider die Dumpfheit“ eine Minderheit von schätzungsweise zehn bis 30 Prozent der Mitglieder. Verständigen können sie sich kaum. Neben den Mumien aus Ost-Berlin bildet das Parteiorgan 'Unsere Zeit‘ (UZ) das größte Machtinstrument der Altvorderen. Dort wird nur veröffentlicht, was nicht der Zensur des Chefredakteurs zum Opfer fällt. Das sind Dutzende von Leserbriefen, Stellungnahmen von zwei kritischen Präsidiumsmitgliedern, die am kommenden Wochenende vermutlich abgewählt werden; Artikel von Erneuerern zu ihren inhaltlichen Entwürfen; eine Erklärung des SDAJ-Bundesvorstandes gegen die Aufrufe der DKP-Führung zur Spaltung des aufmüpfigen Jugendverbandes usw. Aber die Krise hat jetzt auch das Zentralorgan erwischt. Zwölf von vierzig 'UZ'-Redakteuren haben sich trotz Kündigungsandrohung offen auf die Seite der Erneuerer gestellt. Unter den Mitarbeitern des Parteivorstandes rumpelt es ebenfalls, auch von ihnen haben viele den Aufruf für einen bundesweiten „Kongreß Erneuerung“ im Herbst unterschrieben, der die inhaltlichen Alternativen konkretisieren soll.

Wie die Düsseldorfer Zentrale reagieren wird, ist unklar. In einem „Brief an alle Mitglieder der DKP“ hat das Präsidium vor knapp zehn Tagen kräftig gegen „die Organisatoren der Minderheit“ geholzt. Deshalb rechnen viele KritikerInnen damit, daß der Parteivorstand am kommenden Wochenende sie erneut abkanzeln und die „Einheit der Partei“ brachial durchsetzen wird. Aber das, so ein Optimist aus der Zentrale, „wird uns kaum erschüttern, sondern eher das konservative Lager weiter schwächen“.

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