: 40 Jahre Freiheit und Sicherheit
Führender Nazi-Kollaborateur wurde gestern in Nizza gefaßt / Jahrelanges Versteckspiel im Schutz von rechtskatholischen Zirkeln Paul Touvier war als Milizenchef die rechte Hand des Gestapo-Chefs Klaus Barbie in Lyon / Haftbefehl wegen Geiselerschießung ■ Von Alexander Smoltczyk
Berlin (taz) - Die ungeladenen Gäste sind stets die treuesten: fast zur selben Stunde, als der Bundespräsident seine Festrede hielt, wurde in der Altstadt von Nizza ein Mann festgenommen, der sich seit vierzig Jahren versteckt hält - Paul Touvier, führender Nazi-Kollaborateur in Lyon und rechte Hand Klaus Barbies. Die Geschichte hat die Republik wieder einmal eingeholt - ausgerechnet an ihrem Geburtstag.
Die Abtei der Priesterbruderschaft Saint-Fran?ois in Nizza, seit 1987 im Besitz des Traditionalistenbischofs Lefebvre, wurde Touvier alias Paul Lacroix, zur letzten Station einer keineswegs abenteuerlichen Reise, die den Kriegsverbrecher vierzig Jahre durch diverse Klöster in den südlichen Alpen geführt hat.
Der 74jährige Touvier, gegen den seit 1981 ein internationaler Haftbefehl wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorliegt, war unter der deutschen Besatzung in Lyon Chef der mit den Nazis kollaborierenden Miliz und enger Mitarbeiter des Gestapochefs Klaus Barbie, der vor zwei Jahren zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt wurde. Unter dem Vichy-Regime sammelte Touvier, der nach eigenen Angaben „nur am Bau einer christlicheren Welt gegen den Kommunismus“ mitgewirkt haben wollte, 1943 bis 1944 ein beträchtliches Vermögen an, indem er jüdisches Eigentum „beschlagnahmte“ oder aber sich die Vernichtung von Akten bezahlen ließ. 1944 ordnete er die Ermordung des Philosophen und Präsidenten der Menschenrechtsliga Victor Basch und dessen Frau an und befehligte die Erschießung von sieben jüdischen Geiseln in Rilleux-la-Pape nach dem Attentat auf den Vichy-Minister Henriot. Gleich nach der Befreiung wurde Paul Touvier wegen Kollaboration und Folterung von Widerstandskämpfern zweimal in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Nachdem er kurz darauf festgenommen werden konnte, gelang Touvier die Flucht in das Haus seines Vaters im französischen Chambery, wo er vierzehn Jahre unbehelligt lebte. 1967 profitierte er vom Ablaufen der Verjährungsfrist und gab sich zu erkennen. Fortsetzung Seite 2
Nach kirchlicher Fürsprache eines späteren päpstlichen Prälaten begnadigte Staatspräsident Pompidou den „französischen Barbie“ 1971, setzte den Exkollaborateur in alle bürgerlichen Ehrenrechte wieder ein und hob das Aufenthaltsverbot auf. Doch der „Gnadenakt“ wurde öffentlich und damit zum Skandal: Touvier tauchte ab in den Untergrund bzw. - als guter Christenmensch - unter die Röcke von Mutter Kirche.
Erst nach langen Bemühungen von Widerstandsorganisationen hatten sechs Klagen, die zwischen März und Mai 1973 wegen „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ gegen Touvier eingereicht worden waren, 1981 dazu geführt, daß sich die französische Justiz wieder für den Fall interessierte. Des öfteren ist vermutet worden, daß Touvier als Mitorganisator eines Nachrichtendienstes über Informationen verfügen könnte, die zu Ehren gekommene ehemalige Kollaborateure oder aber den Nachkriegsmythos der Resistance kompromittieren würden. Darin könnte eine Erklärung liegen, weshalb Touvier jahrelang von der Justiz unbehelligt blieb.
Angehörige Touviers hatten 1984 mit fingierten Danksagungen unter Todesanzeigen die Öffentlichkeit glauben machen wollen, daß Touvier gestorben sei. Die Wochenzeitschrift 'Canard Enchaine‘ hatte im letzten März berichtet, daß Touvier von einer katholischen Sekte, den „Chevaliers de Notre Dame“, geschützt werde.
Ein Sprecher des Verbands ehemaliger Widerstandskämpfer erklärte, er hoffe, daß Touvier ebenso wie Barbie vor Gericht gestellt werde. Ein delikater Prozeß - denn in den Zeugenstand müßten auch nicht wenige „gute Christen“ aus militant-katholischen Zirkeln zur Beichte geladen werden.
2AKTUELLESDONNERSTAG, 25/5/89
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