: „Die Gefahr ist Teil meiner Arbeit“
Eine kurdische Sozialarbeiterin wurde in Berlin von einem türkischen Landsmann lebensgefährlich verletzt / Sie unterstützte ein Mädchen, sich gegen die Belästigungen des Mannes zu wehren / Parallelen zum Anschlag auf den türkischen Frauenladen TIO in Kreuzberg ■ Von Vera Gaserow
Wenn Hatice K. von ihrem Sofa aufsteht, preßt sie noch instinktiv die Hand gegen den Bauch, beim Laufen macht sie kleine, vorsichtige Schritte. Man sieht ihr die Schmerzen an, aber „nein, nein körperlich geht es mir inzwischen ganz gut“, versichert sie, „in vier oder fünf Wochen werden die Wunden verheilt sein, nur wie ich das Ganze seelisch verkrafte, weiß ich nicht“. Fast jede Nacht träumt Hatice von dem Vorfall, an den unzählige Narben ihres Körpers sie auf Dauer erinnern werden: Am 17.April dieses Jahres wurde sie im Flur ihrer Berliner Wohnung von einem türkischen Landsmann, Irfan A., lebensgefährlich verletzt. 28 Messerstiche zählten die Ärzte, die sie im Krankenhaus behandelten. Einige dieser Stiche verletzten Hatices Lunge, drei Tage lang schwebte sie in Lebensgefahr, mehr als eine Woche lag sie auf der Intensivstation.
Heute, gut vier Wochen danach, kann Hatice K. über das schreckliche Geschehen reden und sie will es auch, weil das Reden ihr beim Verarbeiten helfen könnte. Und sie will öffentlich berichten, damit deutlich wird, daß dieser Versuch, sie zu töten, nicht allein ihrer Person galt. Denn was die türkische Presse in die Nähe eines Eifersuchtsdramas rückte, die deutschen Zeitungen als ohnehin unverständliche türkische Familienauseinandersetzung abhakten, hat mit Hatices Beruf als Sozialberaterin für ausländische Frauen zu tun, mit männlichen Besitzansprüchen und der Schwierigkeit, sich dagegen zu wehren.
Ein gewalttätiger Freier
Seit gut neun Jahren ist Hatice K. Sozialberaterin für ImmigrantInnen in Berlin. Lange Zeit hat sie in einem Stadtteilladen für ausländische Mädchen gearbeitet. In diesem Zusammenhang war sie rund sechs Monate vor der Tat von einem Mädchen aus ihrer Gruppe, deren Familie sie auch persönlich gut kannte, um Hilfe gebeten worden. Das Mädchen weinte, wußte nicht mehr weiter: Seit fast fünf Jahren bedrängte sie der junge Student Irfan A.; er wollte sie heiraten. Aber sowohl sie selber als als auch ihre Familie hatten das entschieden abgelehnt. In letzter Zeit hatte er angefangen, das junge Mädchen und dessen Familie förmlich zu tyrannisieren: Nachts klopfte er an ihr Fenster, rief bei ihr zu Hause an, lauerte ihr bei der Arbeit auf. Auf Anraten von Hatice K. stellte die Familie schließlich Strafanzeige gegen Irfan A., und die Polizei drohte ihm mit der Abschiebung, falls er das Mädchen nicht endlich in Ruhe lassen würde. Nach dieser Mahnung von oben ließ Irfan A. sich nicht mehr blicken und das Problem schien gelöst. Doch vor zwei Monaten tauchte er dann vor Hatices Haus auf, drängte sie, mit dem jungen Mädchen zu reden und die Heirat zu arrangieren. Heute sagt Hatice K., daß es vielleicht ein Fehler war, daß sie den Mann nicht ernstgenommen habe. „Er hat überhaupt nicht akzeptiert, daß eine Frau stark sein kann und ihn einfach ignoriert. Das habe ich vielleicht unterschätzt.“
Am frühen Morgen des 17.April, Hatice K. Hatte gerade ihren dreijährigen Sohn in den Kindergarten gebracht, stand Irfan A. unvermittelt vor ihrer Wohnungstür. Er müsse mit ihr reden, forderte er, und als sie erwiderte, sie habe keine Zeit, beschimpfte er sie als „Nutte“, die „an allem Schuld ist!“, ohrfeigte sie und stach schließlich mit einem Messer auf sie ein. Hatice K. wehrte sich und schrie, bis nach einem längeren Kampf schließlich der Wohnungsnachbar aufmerksam wurde und die Polizei benachrichtigte. Irfan A. flüchtete und wurde zwei Tage später verhaftet. Bis heute bestreitet er die Tat.
Für Hatice K. besteht kein Zweifel: „Der Typ wollte mich umbringen.“ Der Angriff galt einer Frau, die nicht nur selber den Eindruck von Stärke vermittelt, sondern andere Frauen dabei unterstützt, eigene Wege zu gehen und sich auch gegen einen Mann zur Wehr zu setzen. Hatice K. und ihren anderen ausländischen Kolleginnen ist dadurch noch einmal und auf erschreckende Weise deutlich geworden, daß ihre Arbeit ein Risiko bedeuten kann. Mehrfach hat Hatice K. während ihrer Arbeit in dem Mädchenladen Drohanrufe von türkischen Vätern bekommen. Öfter auch ist sie von Familien beschimpft und belauert worden, weil sie sich geweigert hatte, den Aufenthaltsort türkischer Mädchen zu nennen, die von zu Hause geflüchtet waren. Und bei dem jetzigen Angriff auf Hatice K. sind die Parallelen zu einem viereinhalb Jahre zurückliegenden Anschlag auf ein Frauenprojekt in Kreuzberg nur allzu offensichtlich. Damals war am hellichten Tag ein türkischer Mann in den „Treffpunkt und Informationsort für türkische Frauen“ (TIO) gekommen und hatte auf Mitarbeiterinnen und Besucherinnen geschossen. Fatma Er, eine langjährige Besucherin dieses nur für Frauen bestimmten Stadtteilzentrums, überlebte diesen Anschlag nicht. Eine Mitarbeiterin wurde lebensgefährlich getroffen und leidet bis heute unter der Verletzung. Damals war nicht nur zum ersten Mal die Gewalt in türkischen Familien öffentlich thematisiert worden, sondern auch die Gefahr, in die sich vor allem ausländische Frauen begeben, wenn sie ganz parteilich anderen Frauen helfen. Plötzlich wußten zahlreiche Projekte für Mädchen und Frauen aus der Türkei von von massiven Drohungen, Schmähbriefen, anonymen Anrufen und Beschimpfungen zu berichten, mit denen Männer auf ihre Arbeit reagierten. Der Anschlag auf TIO ist juristisch nie aufgeklärt worden. Die Polizei nahm zwar einen 50jährigen Türken fest, den Mitarbeiterinnen und Besucherinnen der Beratungsstelle vor Gericht zweifelsfrei als den Täter wiedererkannten. Das Berliner Landgericht urteilte auch, daß die innere Einstellung des Angeklagten Asef K. sicher der Arbeit des TIO „diametral entgegengesetzt“ sei. Dennoch entschieden die Richter auf Freispruch, weil sie nicht ausschließen wollten, daß sich die Zeuginnen bei der Wiedererkennung des Täters geirrt hätten. Die bisherigen Mitarbeiterinnen des TIO, einem der ersten Beratungszentren für türkische Frauen in der Bundesrepublik, hatten damals unter dem Eindruck des schrecklichen Anschlags ihre Arbeit aufgegeben, die dann von anderen Frauen an einem neuen Ort weitergeführt wurde.
Seit sie aus dem Krankenhaus entlassen ist, überlegt auch Hatice K., ob sie überhaupt weiter in ihrem Beruf arbeiten kann, über den sie selber sagt: „Die Gefahr ist dabei Teil meiner Arbeit.“ Nach dem ersten „Nie wieder in diesen Beruf zurück“ faßt sie wieder ein Stück Mut: „Ich habe lange dafür kämpfen müssen, soll ich jetzt wieder in die Fabrik zurückgehen? Dort würde ich mich bei der ersten Gelegenheit mit dem Meister anlegen. Und die Arbeit mit den Mädchen macht mir doch auch Spaß. Wir haben solange darum gekämpft, daß es solche Projekte gibt. Die Mädchen wissen so wenig von der Welt und irgendjemand muß sie doch untestützen. Wir haben ja auch schon einiges erreicht und wenn ich diese Arbeit nicht mache, wer macht sie dann?“
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