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Irland hat ganz andere Sorgen als Europa

Mit der Vorverlegung der Parlamentswahlen hat Haughey dafür gesorgt, daß „Europa“ kein Wahlfieber auslöst  ■  Aus Dublin Ralf Sotscheck

Langsam breitet sich Wahlkampfstimmung auf der Insel aus aber mit Europa hat es nichts zu tun: Premier Haughey verkündete am Donnerstag, daß die irischen Parlamentswahlen auf den 15. Juni, den Tag der Europawahl, vorverlegt werde. Damit ist endgültig sicher, daß europäische Themen im Wahlkampf keine Rolle spielen werden. Ohnehin messen die irischen WählerInnen den Europa-Wahlen keine große Bedeutung bei. Noch einen Monat vor dem Wahltermin wußte ein Drittel nicht, daß überhaupt gewählt würde. Die Hälfte aller Iren kann sich auch nicht vorstellen, daß EG-Mitgliedschaft und Binnenmarkt ihren Lebensstandard verbessern werden. Das relative Desinteresse weiter Teile der Bevölkerung an Europa spiegelte sich in der Beteiligung an den letzten Europa -Wahlen im Jahr 1984 wieder: Sie lag bei nur 48 Prozent.

Mit der Vorverlegung der Parlamentswahlen hat Haughey zumindest dafür gesorgt, daß die Wahlbeteiligung steigen wird. Doch die Auflösung des Parlaments nach nur zwei Jahren Amtszeit stieß bei allen anderen Parteien auf Kritik. Sie fürchten, daß Haughey eine absolute Mehrheit gewinnen könnte, wie es Meinungsumfragen andeuten. Dann könnte Haughey die Wahlkreise nach seinem Gustus neu einteilen eine entscheidende Waffe in einem Staat mit Mehrheitswahlrecht.

Die relative Popularität Haugheys ist nicht zuletzt der Opposition anzulasten. Die irische Minderheitsregierung war nach den Wahlen im Februar 1987 fast vollständig von ihren Wahlversprechen abgerückt und orientiert ihre Politik seitdem an einem „Nationalen Erholungsprogramm“, das den Wahlprogrammen von Fine Gael und den (erzkonservativen) Progressiven Demokraten verblüffend gleicht. Durch drastische Sparmaßnahmen, die vor allem auf Kosten des Bildungs- und Gesundheitsbereichs erfolgten, sollte die Inflationsrate gesenkt und das Haushaltsdefizit unter Kontrolle gebracht werden. Diese Politik wurde von den beiden großen Oppositionsparteien mitgetragen, da sie sich zu Recht als „Erfinder des Erholungsprogramms“ wähnen. Zusammen verfügten die drei Parteien über 90 Prozent der Parlamentssitze - von Opposition keine Spur. Doch Haugheys Ruf als „Retter der Nation“ beginnt zu schwinden. Zinsraten und Arbeitslosigkeit steigen seit Anfang Mai wieder, und die Auswanderung hat mit 45.000 Menschen den höchsten Stand seit dreißig Jahren erreicht - auch ohne die Freizügigkeit im versprochenen Binnenmarkt.

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