: Größte Demonstration männlichen Chauvinismus‘
In London marschierten rund 25.000 Moslems auf der bisher größten Anti-Rushdie-Demonstration in Europa / 18 verletzte Polizisten und 100 Festnahmen bei Protesten gegen „Satanische Verse“ / „Frauen gegen Fundamentalismus“ trotzten den Rushdie-Gegnern ■ Aus London Rolf Paasch
„Allah Akhbar“, krächzt es aus den Lautsprechern über den weiten Rasen des Londoner Hyde Parks. Von der Ladefläche eines Lastwagens, der aussieht, als habe er sich aus dem Kölner Karnevalszug hierher verfahren, rufen die Mullahs zum Gebet. Rund 25.000 Gläubige beugen und strecken sich auf dem britischen Rasen in einer Art moslemischen Aerobics gen Mekka, das irgendwo hinter dem Buckhingham Palace liegen muß. Doch eigentlich sind sie nicht hier zusammengekommen um zu beten, sondern um zu protestieren, nicht um das Göttliche zu feiern, sondern das Profane zu fordern: das Verbot der Satanischen Verse, die der „sheitan“ dem anglo-indischen Schriftsteller Salman Rushdie eingegeben hatte; die Ausweitung der britischen Blasphemiegesetze auf den islamischen Glauben und - wenn es nach einigen der Demonstranten ginge - den Kopf eben jenes Salman Rushdie.
Der Schlachtrufe und Spruchbänder, die Rushdie mitsamt seinen säkularistischen Anhängern, seinem Verlag und seinem literarischen Teufelswerk in die Hölle wünschen, sind zahlreich: „Shakespeare über Rushdie: 'Hier kommt das Laster'“, wird hier Englands Barde Nr.1 zitiert, um die derzeitige Nr.2 der britischen Bestsellerliste (über eine Million verkaufte Exemplare) zu diffamieren. Umgeben von solch islamischem Agitprop, makaber-originellen Sprüchen versuchen wir uns ein Bild zu machen von dem anhaltenden religiösen Zorn der britischen - und einiger aus Europa angereister - Moslems. „Die Wikinger, die Barbaren Europas im Mittelalter.“ „Viking-Press (Rushdies Verleger. d. Red.), der Abschaum des 20.Jahrhunderts“, so zieht ein junger Rushdie-Gegner Vergleiche. Ein anderer läßt auf seinem Banner verkünden, daß die vier politischen Philosophen der Renaissance, Hobbes, Locke, Voltaire und Rousseau allesamt „Produkte der islamischen Zivilisation“ seien. Als wir ihn um nähere Auskunft bitten, muß der junge Muselmann passen, hat's ihm doch sein Mullah auf die Tafel diktiert. Eines allerdings wird uns bei dieser bisher größten moslemischen Demonstration in Großbritannien deutlich: Der Zorn der rund eine Million starken moslemischen Gemeinde über den blasphemischen Inhalt des Rushdie-Romans ist auch drei Monate nach dem mörderischen „fatwa“ des Ajatollah aus Teheran nicht abgeflaut.
Aus allen moslemischen Gemeinden Englands, ja gar aus Schottland, sind sie hier in den Hyde Park gekommen, um die britische Regierung erneut zum Verbot des Romans aufzufordern. Die Regierung Thatcher hat sich in der Rushdie -Affäre bisher recht diplomatisch verhalten. Auf der einen Seite warnte Innenminister Douglas Hurd die britischen Moslems davor, das Gesetz in ihre eigenen Hände zu nehmen. Auf der anderen Seite hat die Regierung alles versucht, um es sich mit der iranischen Führung nicht ganz zu verderben winken hier doch bei einer potentiellen Entspannung lukrative Waffengeschäfte.
Innenpolitisch viel mehr zu verlieren hat dagegen die oppositionelle Labour-Party, die traditionell von 90 Prozent der britischen Moslems gewählt wurde. Bei Nachwahlen zum Stadtrat im nordenglischen Huddersfield im April fiel der Anteil der Labour-Stimmen von 38 Prozent auf 33 Prozent, weil über die Hälfte der sonst Labour-wählenden Moslems für einen unabhängigen Anti-Rushdie-Kandidaten gestimmt hatten. Sollten die Moslems dem Aufruf, nur Anti-Rushdie-Stadträte und Abgeordnete zu wählen, in Zukunft Folge leisten, dann könnte die Arbeiterpartei vor allem in der Grafschaft Yorkshire bei den Parlamentswahlen 1991 für einen Sieg unverzichtbare Sitze verlieren.
Ungläubig - im doppelten Sinn des Wortes - verfolgt der Beobachter unterdessen die Widersprüche des sich entfaltenden islamischen Happenings im Hyde Park. Da beteuert ein Kundgebungsteilnehmer, daß sich die Moslems auch auf die Traditionen des Christentums und des Judaismus besinnen, während gleich neben uns ein Plakat mit dem „Rushdie-Pig“ geschwenkt wird, dem ein Judenstern vom Schweinehals baumelt. Da beteuert einer der drei Labour -Abgeordneten, die für ein Verbot des Buches eintreten, den friedlichen Charakter der Demonstration, während eine Kopie der Satanischen Verse in Flammen aufgeht. Über den Lautsprecher tönt, was sich für das westliche Ohr anhört wie Goebbelsche Rhetorik auf Urdu. All dies klingt für den Ungläubigen bedrohlich, und dennoch wird der atheistische Mitläufer in dieser Demonstration, die sich nun in Richtung Parlament aufmacht, selbst nach der Äußerung seiner Rushdie -Sympathien so zuvorkommend behandelt, als wäre dieser Glaubenskonflikt rein abstrakter Natur. Was folgt sind Bilder, die selbst die kosmopolitische Metropole noch nicht gesehen hat: islamische Hooligans, die mit dem skandierten Schlachtruf „Rushdie Bastard“ durch die Straßen Londons ziehen, als gelte es den Mittelstürmer des FC Liverpool zu diffamieren. Lange Schlangen erhitzter Moslems, die dem Icecream-Wagen am Wegesrand unverhofften Umsatz bescheren. Und eine touristische Gegendemonstration, vom sonnigen Deck der Sightseeing-Busse verwirrt auf ein Meer von Khomeini -Plakaten blickend. Erst als der Demonstrationszug am Parlament vorbeiziehen soll, kommt es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, an deren Ende 18 verletzte Polizisten und 100 Festnahmen registriert werden: Als irakische und iranische Gruppen aneinandergeraten, fliegen im Konflikt der Ideologien symbolträchtig Cola-Dosen und Khomeini-Plakate durch die Luft, ehe die Bobbies ihre Schilde und Schlagstöcke aus den Wannen holen und die Menge auf die vorgesehene Demonstrationsroute treiben. Sehr zur Erleichterung von rund 30 jungen asiatischen Gegen -Demonstrantinnen der Gruppe „Frauen gegen den Fundamentalismus“, die sich in der Mitte von Parliamant Square mutig zum Protest gegen den Mullah-Machismo versammelt hatten. „Dies war“, so kommentierte ein Mitglied der Frauengruppe die abziehende moslemische Meute, „die wohl größte Demonstration männlichen Chauvinismus, die ich je erlebt habe.“
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