: Politik mit Tempolimit
Aufschrei gegen Tempolimit auf der Berliner Avus / Ex- Regierender Diepgen hat endlich einen Punkt gegen Rot-Grün ■ Aus Berlin Gabriele Riedle
Reichlich dicht fuhren PolitikerInnen am Sonntag bei verschiedenen MotorsportlerInnen auf: Der speckige Kanzler Kohl kurvte im Nacken eines Motorradrenners für 120.000 Jubler über den Hockenheim-Ring, mußte sich die Show allerdings später durch einen Toten wieder stehlen lassen. Glücklicher war da der frisch mengengebadete Oppositionsführer im Berliner Abgeordnetenhaus, Eberhard Diepgen, der für 12.000 „liebe Berlinerinnen und Berliner“ an der Avus beim vermutlich letzten legalen Tourenwagenrennen mit zwei Penthouse-Girls in Radfahrer -Shorts auf die mobile Siegerehrungspritsche stieg: Nationalhymne, Küßchen für die Schnellsten, Ansprachen fürs ohnehin schon einig Volk: „Schikane des neuen rot-grünen Senats... Schreiben Sie an die Zeitungen, schreiben Sie an die Rundfunkanstalten ... in einer gewissen zeitlichen Distanz gibt's wieder Avus-Rennen ... rein ideologische Entscheidung ... junge Menschen müssen schnell fahren lernen ... künftiger Regierungswechsel ... immer hinter der Avus gestanden ... für diese Stadt ... für Berlin“, flammte Massenaufwiegler Diepgen, der weiß, daß es sich im Windschatten des Tempolimits prima populistische Politik machen läßt.
Schließlich hatte der neue Senat nicht nur vor zehn Tagen dortselbst das Tempo auf 100 Stundenkilometer limitiert. Der neue SPD-Regierende Walter Momper hatte nun auch noch mannhaft das schriftliche Grußwort im Programmheft der ADAC -Veranstaltung verweigert und scheint überdies entschlossen zu sein, wenigstens diese eine einzige Koalitionsvereinbarung einzuhalten: Tempolimit und Abschaffung der Avus-Rennen zur Verschönerung beispielsweise der Kröte Deutsches Historisches Museum.
Ansonsten läßt der Senat die schnellen Leidenschaften ins leere laufen: Während einerseits für nächstes Wochenende erneut eine Großdemo der Freiheitsfans angekündigt ist, die Contra-Unterschriftenkugelschreiber heißlaufen und die Gegenargumentslitaneien noch von jedem Spatzenhirn im Schlaf beherrscht werden, und andererseits feurige Tempolimitisten wie in den guten alten Wehrpaß- und Büstenhalterzeiten öffentlich ihre ADAC-Mitgliedsausweise zerreißen - der Senat und seine Werbeabteilung stellen sich tot. Kein Wunder: Wie soll man auch Entscheidungen verkaufen, die man womöglich gar nicht so gemeint hat.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen