: Politikfeld Avus
Wer nichts wagnert, verliert ■ K O M M E N T A R
Lange hatte man ja gar nicht mitbekommen, daß wir einen neuen Öko-Senat haben: Die Großprojekte wie Stromverbund und RVK laufen ungebremst weiter, Momper beschwört die Kontinuität und in der AL sorgen Bangbüxen wie Köppl dafür, daß es bloß keinen Streit gibt in der kostbaren Koalition. Ansonsten warten alle auf die Umweltkarte. Sie wird immer mehr zur symbolischen Trumpfkarte für die neue rotgrüne Politik, an ihr soll endlich die gesellschaftliche Mehrheit in Berlin merken, daß sich alles zum Guten gewendet hat - im Oktober.
Bis dahin, so hat man den Eindruck, ist verkehrs- und ökopolitisch nichts zu erwarten, und wenn die halbe Berliner Bevölkerung auf der Avus steht und über das Tempolimit diskutiert. Statt diesen symbolbeladenen Konflikt aufzugreifen und daran den sperrigen Begriff des ökologischen Stadtumbaus in seinen Zielen und Problemen handhabbar zu erläutern, läßt Verkehrssenator Wagner (SPD) verlauten, seine Behörde sei nicht geneigt, mit Handzetteln zu den Bürgerinitiativen zu laufen.
Das fügt sich nahtlos in die mißmutige Art, wie Wagner mal eben an einem Donnerstag mittag die Tempolimitschilder aufstellen ließ, quasi unter Ausschluß der Öffentlichkeit und ohne eine politische Absicht vermitteln zu wollen: Das war schon gekonnt, wie das nicht gekonnt war.
So steht der Avus-Konflikt weiterhin nicht als Chance, sondern als obrigkeitsstaatlicher Akt der Sozis und Alternativen, die ohnehin (zu Recht) für ihren fatalen Hang zum Verbieten, Regeln und Kontrollieren bekannt sind. Dabei bräuchte die Politik nur die Bereitschaft zu ökologischem und umweltbewußtem Handeln aufgreifen, die - wie Umfragen belegen - auch bei den Tempo 100-Gegnern weit verbreitet ist. Aber hingehen muß der Senator schon zu den Bürgern und ihnen Rede und vor allem Antwort stehen. Wer bis zum Umweltticket wartet, könnte im Oktober schon viel politischen Spielraum eingebüßt haben. Wer jetzt wagnert, kann nur gewinnen.
Thomas Rogalla
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