: Bremer Modell einer anderen Energiezukunft...
■ Gespräch mit Cornelius Noack und Helmut Spitzley, zwei Mitgliedern des Bremer Energiebeirates über den Abschlußbericht....
Cornelius Noack ist Kernphysiker an der Bremer Universität. Er ist zweiter Vorsitzender des Bremer Energiebeirats. „Ich bin da wohl aus politischen Gründen reingekommen. Weil man einen Vorsitzenden und einen 2. Vorsitzenden brauchte, die erstens was von dem Thema verstehen und zweitens loyal sind. Letzteres war für den Senat besonders wichtig. Nehm‘ ich an,“ meint SPD-Mitglied und Wahlkämpfer Noack.
Helmut Spitzley, Mitglied des Energiebeirates, ist Professor für Arbeits- und Technologiepoltik und ehemals Vorstand der Vereinigung für ökologische Wirtschaftsforschung. Er hat die Energiepolitik in Kalifornien untersucht und an der TU Berlin über den Zusammenhang von Energie- und Beschäftigungspolitik gearbeitet.
Im Energiebeirat arbeiteten unter anderem Klaus Traube, Peter Hennicke (Öko-Institut Freiburg), Willy Leonhard (Stadtwerke Saarbrücken), der Berliner Ex-Senator Reinhard Ueberhorst und der Kernphysiker Dieter von Ehrenstein mit.
taz: Der Energiebeirat wurde nach Tschernobyl eingerichtet und sollte prüfen, ob in Bremen eine Energieversorgung ohne Atomstrom möglich ist. Ist das alles, was er geleistet hat?
Cornelius Noack: Wir haben zunächst von allen wichtigen energiepolitischen Akteuren in Bremen ihre Positionen und Perspektiven erfragt, angefangen bei der Handelskammer, über den DGB, die Parteien bis hin zu BUND und Energie-Wende -Kommittee. Darauf aufbauend wurden sechs unterschiedliche Energiezukünfte entworfen. Zwei dieser Szenarien haben wir so genau wie möglich auch in ihren wirtschaftlichen und ökologischen Folgen quantitativ ausformuliert. Auf dieser Grundlage kann jetzt politisch diskutiert und entschieden werden, welche Energiezukunft realisiert werden soll. Das alles hat nur wenig mit Atomstrom zu tun, sondern es geht eigentlich darum, das Ganze derzeitige zentralistisch organisierte Energiesystem abzulösen durch dezentrale Strukturen, denn eine neue Energiepolitik ist nur dezentral realisierbar.
Es ist aber sicher auch ein Ausstiegsszenario. Wie lange Zeit würde Bremen brauchen, um
ohne jeden Atomstrom auszukommen?
Spitzley: Die Stadtwerke Bremen haben rein technisch betrachtet ausreichend Überkapazitäten, um sofort auf den Bezug von Atomstrom verzichten zu können. Aussteigen ist kein technisches Problem, sondern eher ein juristisches und eine Machtfrage. Wenn im Herbst 1989 die entsprechenden rechtlichen Untersuchungen vorliegen, kann entschieden werden, wie der Vertrag mit der Preag neu zu gestalten ist, so daß - per Saldo - Bremen frei von Atomstrom wird. In Bremerhaven hängt es davon ab, wie das Stromsparen forciert, und wie schneund engagiert Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen gebaut werden. Es wäre aber dort sicherlich während des nächsten Jahrzehnts möglich, wenn das politisch ernsthaft gewollt würde.
Mindestens ebenso wichtig ist das zweite Ziel, das der Beirat sich selbst gesetzt hat, die CO2-Reduktion um 40-50 Prozent. CO2 ist verantwortlich für die Klimakatastrophe. Die Weltklimakonferenzen in Toronto und Montreal haben genau diese Margen gesetzt: Wenigstens 40 Prozent CO2-Reduktion bis zum Jahr 2010. Unter der Annahme einer mittleren Energiepreisentwicklung hat der Energiebeirat zeigen können, daß eine kombinierte Strategie des verstärkten Energiesparens und des Ausbaus der Fernwärme so gestaltet werden kann, daß bis 2010 die Gesamtkostenbelastung der Haushalte und Gewerbebetriebe eher gesenkt und die Ertragssituation der Stadtwerke und deren Abgabe an die Kommune eher erhöht werden können. Diese Strategie würde im Nebeneffekt alleine in Bremen außerdem 1.000 bis 2.000 neue Arbeitsplätze schaffen.
Kann Bremen diese Ziele aus eigener Kraft schaffen?
Spitzley Eindeutig ja. Unsere Vorschläge stützen sich bewußt ausschließlich auf bremische Handlungsspielräume. Die alte Vorstellung Bremen könne energiepolitisch nichts bewegen, ist nach diesem Beiratsbericht endgültig überholt.
Wie soll das denn gehen?
Noack: Es gibt drei sogenannte neue Energiequellen. Die erste und wichtigste für die kurzfristige Realisierung ist das Energiesparen. Das bedeutet nicht Konsum
verzicht, sondern wir meinen damit den Einsatz neuer Techniken, um die gleichen Dienstleistungen mit weniger Energieaufwand zu erreichen. Finanziell bedeutet das, die laufenden Kosten für die Energie durch Investitionen in Energie-Spartechnik zu ersetzen.
Die erste Schwierigkeit: Dazu gehören ganz, ganz viele. Es muß ja jeder Verbraucher Energie sparen. Für jeden Verbraucher ist das langfristig gesehen auch ein Geschäft. Das Problem besteht nur darin, daß den vielen, vielen Menschen klarzumachen. Es geht also hauptsächlich um Beratung und Aufklärung und intelligente Einsparangebote.
Die zweite große Energiequelle ist rationelle Energienutzung. Das heißt, bei der Erzeugung von Strom nicht die Abwärme zu verschwenden, wie das in Bremen im Moment fast durchweg geschieht, sondern die bei der Erzeugung von Strom zwangsläufig entstehende Wärme zu nutzen.
Und das dritte Bein ist die Nutzung regenerativer Energiequellen. Nämlich derer, die die geringsten Umweltschäden überhaupt hervorrufen. Das ist langfristig gesehen die einzig vernünftige Energiequelle. Die Entwicklung steckt aber leider Gottes immer noch in den Kinderschuhen.
Das sind Thesen, die die energiepolitische Diskussion schon seit Jahren bestimmt. Die Bremer Stadtwerke sagen nun, daß sie auf diesen Feldern auch schon arbeiten. Unter den bundesdeutschen Stadtwerken sind wir Spitze, wird behauptet. Teilt der Energiebeirat diese Einschätzung?
Spitzley: Dazu will ich drei Beispiele nennen, ohne diese im einzelnen zu kommentieren. Erstens: Bremen ist die deutsche Großstadt mit dem geringsten Fernwärme-Anteil. In einem großen Kraftwerk im Hafen gibt es seit Jahren ein Wärmepotential von 400 Megawatt. Das wird nicht genutzt, um kostengünstig Wohnungen und Betriebe zu heizen. Diese Abwärme wird ungenutzt in die Weser eingeleitet oder in die Luft gepustet.
Zweites Beispiel: Die Stadtwerke warten in ihrem gut ausgestatteten und gut geführten Kundenzentrum, auf einzelne ratsuchende Besucher. Bezogen auf die Gesamtbevölkerung und auf die Größe der möglichen Einsparpotentiale ist das allerdings völlig unzureichend. Wir empfehlen daher allen Kunden eine intensive Beratung ihrer Einsparmöglichkeiten „Vor Ort“, das heißt bei ihnen zu Hause, anzubieten.
Drittes Beispiel: Regenerative Energiequellen. Die werden in Bremen bislang so gut wie nicht genutzt. Das einzige Wasserkraftwerk ist vor zwei Jahren abgerissen worden. Und die Stadtwerke haben sich bislang nicht in Windenergie engagiert.
Das wollen sie aber jetzt, in Bremerhaven tun.
Spitzley: Sie wollen sich möglicherweise an einem großen, wahrscheinlich auch sehr teuren Windpark beteiligen. Ich persönlich würde es für viel effektiver halten, wenn die Stadtwerke für einen bestimmten Zeitraum ihre Einspeisevergütung für aus regenerativen Energiequellen erzeugten Strom drastisch erhöhen würden, zum Beispiel auf 30 Pfennig pro Kilowattstunde, vielleicht zunächst mengenmäßig und auf zehn Jahre begrenzt. Das würde Windpionieren Mut machen. Andere regenerative Energiequellen, beispielsweise solare Warmwasserbereitungsgeräte werden in Bremen bislang ebenfalls nicht gefördert.
Noack: Ich würde das ganz gerne am Punkt Fernwärme ergänzen und konkretisieren.
Die Stadtwerke sagen uns: „Selbstverständlich sollte die Fernwärme aus dem Kraftwerk Hafen genutzt werden; selbstverständlich ist der bisherige Zustand Energieverschwendung. Wir wollen das auch. Nur es gibt Anlaufkosten, wirtschaftliche Risiken, den niedrigen Ölpreis, etc... Deswegen wollen wir das sehr vorsichtig angehen. Wir lassen uns weiter beraten von einem Mitglied des Energiebeirates, von Klaus Traube.“ Der Energiebeirat hat aber in seinem Bericht eine zentrale Empfehlung gegeben, die stammt wortwörtlich von Klaus Traube. Da heißt es: „Die Stadtwerke müssen lernen, daß sie als Unternehmen ein ganz normales unternehmerische Risiko tragen müssen.“ Die Stadtwerke sagen: „Für eine wirtschaftliche Nutzung der Fernwärme kommt es auf eine möglichst hohe Anschlußdichte an. Erst wenn wir genügend Kunden haben, legen wir eine Leitung.“ Und das kommt mir wirklich so vor, als wenn Mercedes ein neues Modell erst dann entwickelt, wenn es bereits 80.000 davon verkauft hat. So kann kein kapitalistisches Unternehmen sich auf dem Markt behaupten. Klaus Traube formuliert wörtlich: „Die Chancen und Risiken müssen so abgewogen werden, wie das Voraussetzung für den längerfristigen Erfolg all der Unternehmen ist, die sich am Markt behauptet haben.“ Das ist ein ganz zentraler Punkt.
Die Stadtwerke sind zuwenig zukunftsorientiert
Die Stadtwerke sind zu mutlos, zu wenig zukunftsorientiert in ihren eigenen Interessen und der Interessen der Stadt Bremen.
Die Stadtwerke sagen: Wir müssen bei der Fernwärme mit dem Heizölpreis konkurrieren. Und der Heizölpreis ist im Keller. Das läßt sich derzeit nicht rechnen. Das klingt plausibel.
Spitzley: Erstens: Wir wollen, daß die Stadtwerke ihren Beitrag zum Umweltschutz zur Reduktion des CO2 um mindestens 40 Prozent ernst nehmen und entsprechend aktiv werden.
Dieses ökologische Ziel muß im Vordergrund stehen. Selbstverständlich können die Stadtwerke mutlos und defensiv rechnen. Man kann alles totrechnen. Die Stadtwerke haben sich ja auch bei dem Block 15 in Hastedt dadurch hervorgetan, daß sie gemeinsam mit der Wirtschaftsbehörde bis kurz vor dem SPD-Sonderparteitag öffentlich vorgerechnet haben, daß Kraft-Wärme-Kopplung sich nicht rechne. Erst wenige Tage vor dem Sonderparteitag haben sie eine positivere Neubewertung vorgenommen, die dann zum Bau des Heizkraftwerkes geführt hat.
Man kann alles
defensiv totrechnen
Es ist richtig, daß die Fernwärme an den Ölpreis angekoppelt ist. Aber im konkreten Fall steht da sehr viel auskoppelbare Wärme quasi kostenlos zur Verfügung. Zweitens rechnen alle Energiewissenschaftler damit, daß in den nächsten zehn, zwanzig Jahren der Ölpreis erheblich ansteigen wird. Dann müssen die Fernwärmerohre bereits verlegt sein, sonst haben die Bremer Bürger gar keine Wahl zwischen billiger Fernwärme und immer teurer importiertem Öl und Gas.
Und noch ein Argument: Ich denke doch, daß innerhalb der nächsten zehn Jahre die SPD wieder eine Regierung in Bonn stellen wird. Beide Bonner Oppositionspartein haben grundsätzlich und wiederholt erklärt, daß sie eine ökologisch-orientierte Steuerreform durchsetzen werden. Dabei wird es wesentlich auch darum gehen, die Öl-und Gas
preise auf ein Niveau anzuheben, das Energiesparen und Fernwärme nicht nur aus Umweltschutzgründen notwendig sondern auch wirtschaftlich noch attraktiver macht.
Noack: Zweifellos sind die Ölpreise ein wichtiger Faktor. Und die sind nicht mit letzter Genauigkeit kalkulierbar. Aber wer damit gegen uns argumentiert muß mit seinen Zahlen kommen.
Stadtwerke sollen Zahlen vorlegen
Ich würde gerne über unsere Ölpreisannahmen diskutieren, wenn uns im Gegenzug gesagt wird, von welchen Ölpreisannahmen die Stadtwerke ausgehen. Wenn sie unsere Zahlen anzweifeln, müssen sie ihre auf den Tisch legen. Mit anderen Worten: Die Wirtschaftlichkeitsberechnungen anzuzweifeln, ohne konkrete überprüfbare Alternativen vorzulegen, führt zu gar nichts.
In jedem Fall aber kostet das Geld. Geld, das mindestens teilweise auf den Verbraucher umgelegt wird. Ist Ihr Modell sozialverträglich?
Spitzley: Wir haben gezeigt, daß unser Modell auch wirtschaftlich und sozial gestaltbar ist. Zwar könnten die Strompreise um 2-5 Pfennig pro Kilowattstunde steigen. Das ist dann zu akzeptieren, wenn gleichzeitig dieses mehr eingenommene Geld genommen wird, um es in Einsparmaßnahmen zu investieren, so daß der Energieverbrauch in Haushalt und Gewerbe so weit sinkt, daß die Multiplikation aus erhöhtem Preis und gesenktem Energieverbrauch insgesamt Rechnungen führt. Wir haben ein Verfahren gezeigt, wie man das gestalten kann, zum Vorteil aller.
Wir können freilich nur Modellrechnungen vorlegen. Die Ausführung im Detail muß dann von Stadtwerken, Landesregie rung und Aufsichtsrat festgelegt werden. Und da ist leider nach Beendigung der Beiratsarbeit zunächst ein Beratungsvakuum eingetreten. Es gibt nach meiner Einschätzung derzeit in Bremen keine ausreichend unabhängige und kompetetente Stelle, die die Gegenargumente zu unseren Berechnungen prügfen und konstruktiv aufnehmen könnte.
Nochmal Fernwärme: Es reicht ja nicht die Leitungen zu legen. Die BremerInnen müssen auch Bereitschaft zeigen, den
Stadtwerken die Fernwärme abzukaufen. Gibt es aus anderen Städten Beispiele, wie Fernwärme für die Haushalte interessant gemacht werden kann?
Noack: Da gibt es viele Beispiele. Das berühmteste ist Flensburg. Da ist aggressives Fernwärme-Marketing gemacht worden. Da ist auch ein Anschlußzwang als Notinstrument vorgesehen. Und sie haben ihn nur ein einziges Mal anwenden müssen: Bei einer Bundesbehörde. Alle anderen Leute konnten überzeugt werden, daß es für beide Seiten ein Geschäft ist. Bei einem guten Marketing gibt es kein Anschlußproblem.
Und wie ist es um das Fernwärme-Marketing der Stadtwerke bestellt? Im Bremer Osten stehen ja ab 1990 große Mengen Fernwärme aus dem Kraftwerk Hastedt zur Verfügung.
Noack: Wir haben, seit wir mit den Stadtwerken zu tun haben, immer wieder deren Erdgaskampagnen angegriffen. Wir halten es prinzipiell für richtig, wenn die Stadtwerke Öl durch Gas verdrängen. Aber wir halten es für falsch, wenn sie das in Stadtteilen tun, die über mit Fernwärme versorgt werden sollen. Die Erdgaskampagne, einschließlich der 800 Mark Anschluß-Bonus sind völlig unspezifisch und flächendeckend angelegt. Man kann auch von der Waschmittelwerbung wegkommen und intelligente Anzeige setzen. Es würde niemanden überfordern, wenn man sagt, daß Fernwärme ökologisch und ökonomisch noch besser als Gas ist, und sagt: Nur wer in einem Gebiet wohnt, daß noch auf längere Zeit nicht mit Fernwärme versorgt wird, der sollte jetzt auf Gas umstellen. Das überfordert doch die Intelligenz der Menschen nicht.
Unzureichendes Fernwärmemarketing
Wir haben noch im Februar die Stadtwerke förmlich gebeten, uns mal über ihre Marketingaktivitäten zu berichten. Das haben sie getan. Sie haben uns eine dicke Mappe geschickt. Das sind 20-30 Seiten großformatige Anzeigen für Erdgas. Und das Marketing für Fernwärme beschränkt sich auf ein Anmeldeformular für den Anschluß. Das sieht aus wie ein Antragsformular für einen Reisepass. Mit anderen Worten: Das Marketing für Fernwärme ist völlig unzureichend.
...des Beirates, die hinhaltende Stellungnahme der Bremer Stadtwerke und die Erwartungen an die Landesregierung
Kommen wir mal zur Neuordnung der Tarife. Der Beirat hat vorgeschlagen, die Tarife linear zu gestalten. Also: Wer viel verbraucht, soll viel zahlen. Die Stadtwerke sagen: Wir sind zwar grundsätzlich dafür offen, können das aber nicht, weil uns die Bundestarifordnung hindert.
Spitzley: Die Stadtwerke könnten bei der gültigen Bundestarifordnung die linearen Tarife zwar nicht in reinster Ausprägung verwirklichen, bei einer extensiven und intelligenten Auslegung der Bundestarifordnung jedoch annähernd das Selbe erreichen. Sie müßten nur den Grundpreis minimieren und den Arbeitspreis zum Hauptbestandteil der Preisgestaltung machen. Im Augenblick verschanzen sich die Stadtwerke teilweise zu unrecht hinter der Bundestarifordnung.
Noack: Es geht ja nicht nur um Strom. Auch beim Gas kann man einen linearen Tarif machen. Da sind die Bestimmungen lockerer als beim Strom. Und vollends bei der Fernwärme gibt es diese Spielräume. Da gibt es keinerlei Tarifordnung. Da haben die Stadtwerke in ihrer Stellungnahme zu unserem Bericht erklärt, sie wollten das in Erwägung ziehen. Weitgehend. Hier hätten sie auch sagen können: Fernwärme wird noch in diesem Jahr auf einen linearen Tarif umgestellt.
Erwägen, prüfen, bedenken. Steckt nicht in den abwägenden Formulierungen der Stadtwerke-Stellungnahme eine indirekte Ablehnung der Beirats-Vorschläge?
Spitzley: Das will ich noch nicht beurteilen. Aber: Die Vorschläge des Beirates sind zu 90 Prozent weder neu noch originell. Sie sind den Stadtwerken seit Monaten, wenn nicht seit Jahren bekannt. Die Stadtwerke hatten also einen Riesenvorlauf, aus eigenem Antrieb zu handeln. Sie könnten jetzt auch sagen: Von den 88 Empfehlungen des Beirates betreffen uns etwa die Hälfte. Davon werden wir die folgenden zwanzig Empfehlungen in den nächsten drei Monaten oder im nächsten halben Jahr abarbeiten und umsetzen.
Ein gut geführtes Unternehmen mit entsprechenden Planungskapazitäten, und die Stadtwerke sind ein Unternehmen mit 3.000 Beschäftigten, müssen diese Dinge bereits lange für sich aufbereitet haben. Bei der vorliegenden Stellungnahme schimmert durch, daß es in
Starke Kräfte, die keine Veränderung wollen
den Stadtwerken starke Kräfte gibt, die an den notwendigen Veränderungen nicht interessiert sind. Entscheidungen herbeizuführen.
Noack: Vielleicht kann man das noch mit einem Zitat ergänzen. Der jetzige Vorstand hat uns erklärt: „Wenn wir vor zehn Jahren mit der Fernwärme mutiger gewesen wären, dann sähe das heute alles wirtschaftlicher aus.“ Ich teile diese Meinung. Ich weiß, wie unmutig und unlustig der frühere Stadtwerkevorstand an das Thema Fernwärme herangegangen ist. Aber wenn die Erkenntnis so klar vom Vorstand formuliert wird, dann ist die logische Kosequenz, diesen Mut wenigstens heute nachzuholen. Denn sonst stehen wir 1999 da, und der dann amtierende Stadtwerke-Vorstand sagt: Wären wir doch 1989 mutiger gewesen.
Die Stadtwerke machen sich ernsthaft Sorgen um die Bremer Wirtschaft. Direktor Czichon sieht den Wirtschaftsaufschwung gefährdet, wenn die Tarife so gestaltet werden, daß Großverbraucher mehr zahlen müssen.
Noack: Wir sind ja nicht dumm. Das haben wir vorher gewußt, daß das Argument kommt. Wir
haben eigens aus diesem Grunde einen Exkurs „Stromkosten und Gewerbeförderung“ reingeschrieben, in dem wir konkret in Zahlen und Zitaten zum Beispiel vom Bund Junger Unternehmer, einem CDU-nahen Gremium, nachgewiesen haben, daß das Argument der Sache nach völlig irrelevant ist. Die Stromkosten der Bremischen Unternehmen bewegen sich in der Größenordnung von einem Prozent der Gesamt-Betriebs-Kosten. Eine zehnprozentige Erhöhung der Stromkosten zum Beispiel würde sich nur mit einem Promille in den Gesamtkosten niederschlagen. Energiekosten kein Faktor für Wirtschaftsunternehmen
Im Rahmen der Ansiedlungsverhandlungen verhält sich das Argument mit den Stromkosten so ähnlich wie das mit dem Kippenberg-Gymnasium. Es hat der Sache nach nichts mit der Ansiedlungspolitik zu tun, wird aber im Verhandlungspoker gerne benutzt. Real haben diese Argumente keine Bedeutung.
Spitzley: Wenn Bremen in Zukunft über Stadtwerke verfügt, die ein attraktives Dienstleistungsangebot gerade für den Gewerbebereich anbieten können, dann ist dieses ein positives Argument in der Ansiedlungspolitik und sollte auch so positiv etwa von der Wirtschaftsbehörde behandelt werden. Allein die täglichen Dollarkurs-Änderungen sind ein Vielfaches der Stromkostenveränderungen, die auch langfristig überhaupt nur zur Debatte stehen können.
Noack: Wir haben untersucht und ermittelt, daß sich die Einsparmöglichkeiten in bremischen Gewerbebetrieben in der Größenordnung von 30 Prozent bewegen. Wenn man diese Einsparmöglichkeiten durch ein gutes Beratungsangebot aktivieren kann, ist das für die Firma ein sehr viel besseres Geschäft.
Spitzley: Fazit: Dieses Todschlagsargument „Schädlich für die Gewerbeansiedlungspolitik“ sollte in der energiepolitischen Diskussion in Zukunft aus dem Verkehr gezogen werden.
Anderes Thema: Herr Czichon behauptet, die Stadtwerke hätten beim Energiesparen eine Vorreiter-Rolle. Zitat: „Wir haben mit unserem Kundenzentrum etwas in Bewegung gebracht, was bundesweit vorbildlich ist.“
Noack: Das Kundenzentrum ist vorbildlich. Es bringt etwas.
Aber da sitzen die Berater und
warten, daß interessierte Menschen hingehen. Das langt nicht. Diese Beratungsangebote sind eine Bringschuld. Das heißt Vor
Beratung ist ein Bring-Schuld
Ort-Beratung. Das ist ein ganz andere Aufwand, quantitativ und qualitativ. Ein zweiter Aspekt: Die meisten Wärmedämm -Maßnahmen sind wirtschaftlich für die Einzelhaushalte, aber nur auf längere Zeiträume gerechnet. Diese längeren Zeiträume zu finanzieren, ist der Einzelne oft nicht willens oder in der Lage. Wenn ich einem Hausbesitzer sage, Du solltest 30.000 Mark in Dein Haus investieren, dann hast Du in 20 Jahren einen Profit gemacht, dann sagt jeder: Und woher nehme ich die 30.000 Mark. Da müssen sich die Stadtwerke in die Finanzierung für solche Maßnahmen einschalten. Zum Beispiel so: Alles das, was der Haushalt an Energiekosten einspart, nehmen die Stadtwerke als Tilgung für die Maßnahme, die sie vorfinanziert haben. Dann ist die Finanzierungslast vom Einzelnen weggenommen.
Spitzley: Was wir empfehlen: Nicht nur ein Kundenzentrum der schönsten Art zu haben, sondern zusätzlich ein flächendeckendes Beratungsprogramm, wo jeder bremische Haushalt die Möglichkeit hat, sich zum Beispiel alle drei Jahren einen Einsparberater ins Haus zu holen, der alles durchcheckt, Empfehlungen ausspricht und Finanzierungsmöglichkeiten anbietet.
50 neue Energieberater
Dafür müßten die Stadtwerke vielleicht 50 Beschäftigte einsetzen. Angesichts von 3.000 Beschäftigten insgesamt ist das sicherlich kein unbilliges Verlangen. Das würde die Stadtwerke nicht in den Bankrott treiben. Ein Stadtwerk der Zukunft muß das leisten. Ähnliche Modelle haben wir auch für Gewerbe-und Industrie vorgeschlagen.
Wie ist denn Ihre Einschätzung zur Rolle des Vertriebes bei den Stadtwerken?
Noack: Es geht nicht an, daß Kunden zum Beispiel über die Vorteile einer Gas-Warmwasserbereitung informiert werden, und der Vertrieb kommt dann in das gleiche Haus und empfiehlt Elektro-Boiler. Das muß aufhören. Jetzt ist das noch Praxis, daß der Vertrieb überhaupt nicht korreliert mit dem, was die Verbraucherberatung macht. Das bedeu
tet auch organisatorische Veränderungen innerhalb der Stadtwerke.
Spitzley: Und personelle. Die Energiequelle Sparen darf nicht nur auf einer nachgeordneten Ebene unter ferner liefen behandelt wird. Dem für den Verkauf zuständigen Direktor muß ein gleichwertiger „Einspardirektor“ gegenübergestellt werden. Der Erfolg der Stadtwerke und ihrer Führungsspitze wird in Zukunft daran zu messen sein, ob die gesetzten Einsparziele auch tatsächlich erreicht werden.
Kommen wir noch mal zum, Atomstromvertrag mit der Preag: Ich wage die Prognose, daß dieser Vertrag im Frühjahr 1990 wieder verlängert wird. Direktor Czichon beispielsweise sagt heute schon sehr defensiv: „Unsere Erwartungen, das bei den in Auftrag gegebenen Gutachten etwas grundsätzlich Neues herauskommt sind gedämpft.“
Spitzley: Zu diesen Gutachten muß man sagen, daß die in Auftrag gegeben wurden, ist das Verdienst der Bürgerschaft. Die hat entsprechende Forderungen gestellt, und die Stadtwerke haben sich dann bequemt zwei Gutachten in Auftrag zu geben. Erst in langen Verhandlungen mit dem Beirat sind die dazu gebracht worden, einen dritten unabhängigen Gutachter zu beauftragen. Solange das so ist, daß man die führenden Personen der Stadtwerke zum Jagen tragen muß, solange sind die Signale für eine wirkliche Energiewende nicht hoffnungsvoll. Da ist es jetzt Aufgabe, des Senats, auch Signale im personellen Bereich zu setzen.
Noack: Dazu bedarf es Druck. Wie beispielweise beim Kraftwerk Hafen. Da ist ein Vertrag mit der Preag, der unterschriftsreif war, nicht geschlossen werden. Das hat unter anderem die Folge gehabt, daß die Preag gegenüber Bremen jetzt besonders empfindlich ist.
Spitzley: Aber jetzt sind alle, vom Bürgermeister über die Stadtwerkedirektoren sehr stolz darauf, daß sie dieses Kraftwerk gebaut haben. Der Mut, der ihnen damals beigebracht worden ist, den Mut brauchen sie auch heute.
Noack: Deshalb bin ich auch nicht ganz so pessimistisch, was den Preag-Vertrag betrifft. Unter der Voraussetzung, daß genügend Druck entsteht. Vielleicht kann man diesen Druck bis dahin so aufbauen, daß dann, egal wer wen getragen hat, die Jagd beginnen kann.
Die Last einer neuen Energiepolitik wird man nicht alleine auf die Stadtwerke abwälzen können. Bislang wird die Energiepolitik Bremens in einem kleinen Referat beim Wirtschaftssenator gemacht. Reicht das?
Noack: Nein. Überhaupt nicht Wir haben während unserer Tätigkeit, was den Senat angeht, im Wesentlichen mit dem Rathaus zusammengearbeitet. Die Folgerung die man ziehen muß, ist: Wenn eine ökologisch orientierte Energiepolitik betrieben werden soll, muß der Senat entsprechende Kompetenzen schaffen, und diese Kompetenz entsprechend ansiedeln.
SenatorIn für Energie
Daher unser Vorschlag: Ein Senator, oder eine Senatorin, für Umweltschutz, Energie und Stadtentwicklung. Dort soll die Energieaufsicht und die Energieplanung in einer Abteilung verankert werden. Wir glauben auch, daß da einige neue Personen eingestellt werden müssen, hauptamtlich wenigstens ein kompetenter Energietechniker, ein engagierter Energiewirtschler, und ein cleverer Jurist. Wir brauchen eine Verstärkung der Kompetenz und eine Verstärkung des Engagements.
Spitzley: Weiter schlagen wir vor, daß die Bürgerschaft sich in der Energiepolitik stärker und dauerhaft engagiert. Aus diesem Grund haben wir einen Entwurf für ein Landesenergiegesetz vorgelegt.
Aber die gesetzgeberische Kompetenz liegt doch allein beim Bund?
Noack: Das ist eine irrige Auffasung. Unser Entwurf ist sorgfältig auf die Gesetzgebungskompetenz des Landes abgestellt. Da steht zum Beispiel drin, daß der Senat alle zwei Jahre einen Energiebericht abgeben soll; es steht drin, daß beim Abschluß von Konzessionsverträgen die Gemeinde gehalten ist, Energiesparziele festzuschreiben. Es steht drin ein Landesenergieplan. Es steht drin, einen Fond zu schaffen für rationelle, umweltverträgliche Energienutzung. Es steht im übrigen drin, daß ein wissenschaftliches Institut für kommunale Energiepolitik geschaffen wird. Es gibt ganz viele Felder auf denen Energiepoltik auf landesgesetzlicher Grundlage abgesichert werden kann.
Spitzley: Und es werden bestimmte Dinge festgelegt, wie die Öffentlichkeit beteiligt werden kann. Die Bremer Energiewende wird
voraussichtlich nicht in den Amtsstuben alleine stattfinden.
Energiewende findet nicht in den Amtsstuben statt
Die Wahrscheinlichkeit, daß die skizzierte Energiewende auch tatsächlich realisiert wird, wächst in dem Maße, in dem sich viele, viele Menschen auf den verschiedensten Ebenen in ihrem eigenen Interesse dafür stark machen und engagieren.
Nun sind die Stadtwerke ja eigentlich dazu da, die vom Senat formulierte Energiepolitik umzusetzen. Dafür gibt es einen Aufsichtsrat, dessen Vorsitzender immerhin Bürgermeister Wedemeier ist. Reiben Sie sich mit der Kritik nicht an den falschen Leuten?
Noack: Es ist in der Tat so, daß grundlegend neue Entscheidungen und eine Veränderung der Geschäftspolitik in den Stadtwerken nicht getroffen werden können, ohne Rückendeckung durch die Eigner, die Landesregierung, den Aufsichtsrat, beziehungsweise Magistrat in Bremerhaven. An wirkungsvollen Impulsen von dieser Seite hat es in der Vergangenheit gefehlt. Deshalb wenden wir uns zunächst an unseren Auftraggeber, die Landesregierung. Wir empfehlen dem Senat, den Unternehmensauftrag an die Stadtwerke entsprechend der neuen Energiepoltik zu präzisieren. Dann müssen den Stadtwerken konkrete Handlungsfelder vorgegeben und auch für personelle Änderungen in den Stadtwerken gesorgt werden.
Warum glauben Sie, sind die Stadtwerke mit ihrer Stellungnahme vorgeprescht, bevor der Auftraggeber, der Senat, sich geäußert hat?
Spitzley: Es war in der Vergangeheit so, daß in dem Verständnis der Stadtwerke ihre Geschäftspolitik auch gleichzeitig die Energiepolitik des Landes war. Das Kalkül könnte sein: Wir hauen Pflöcke ein, die die Vorschläge des Beirates begrenzen, um zu erreichen, daß der in der Sache bislang wenig engagierte Senat sich auch weiter innerhalb der von den Stadtwerken gesetzten engen Grenzen bewegt. Nun wird man sehen, ob sich die Landesregierung ihre Energiepolitik von der Elektriztätswirtschaft vorschreiben läßt.
Was ist Ihre Erwartung an die Landesregierung?
Noack: Wir haben nicht die Politik zu formulieren gehabt, sondern sollten realisierbarer Alternativen auf den Tisch legen. Was ich verlange, ist eine klare und nachvollziehbare Stellungnahme. Es langt nicht, wenn der Senat sagt: Er begrüßt die CO2-Reduktion als politische Leitlinie. Ich will, daß er sagt: Ich werde das zu meinem Ziel machen, oder ich tu es nicht. Mir ist beides recht. Ich befinde mich dann allenfalls auf unterschiedlichen Seiten einer politischen Auseinandersetzung wieder.
Wisch-Waschi reicht nicht
Man kann das auch ganz konkret machen. Wir haben neben Einzelempfehlungen Grundsätze formuliert. Und da kann man dem Senat nur sagen: Eure Rede sei Ja, Ja oder Nein, Nein. Das ist alles so formuliert, daß der Senat sie entweder zum Beschluß macht oder das ablehnt. Aber es gibt nichts dazwischen. Die Wischi-Waschi-Formulierung: „Wir begrüßen das alles“, dies jedenfalls langt nicht, als Gegenleistung für die Arbeit, die auswärtige Fachleute ehrenamtlich hier für Bremen geleistet haben.
Interview: Holger Bruns-Kösters
Der Bericht des Bremer Energie-Beirats ist über die Pressestelle des Senat, Rathaus. 2800 Bremen 1 zu beziehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen