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Domestizierung der Angst

■ „Europa und der Orient 800 - 1900“. Eine Ausstellung im Martin Gropius-Bau in Westberlin

Mehr als neunhundert Exponate von mehr als zweihundert Leihgebern. Von ägyptischen Statuen aus dem zweiten vorchristlichen Jahrtausend, über babylonische Rollsiegel, Elfenbeinkästchen aus dem Sizilien um 1200 nach Chr., Teppiche und Seidengewebe, syrische Gläser bis zur Orientmalerei des 19. Jahrhunderts ist alles vertreten. Dazwischen Dürer, Lucas van Leyden, Chodowiecki, Boucher, Guardi, Vien. Es fehlen nicht die Bücher von Athanasius Kircher, Champollion, Grotefend. Reiseberichte und Fundstücke. Ein breites Panorama unserer europäischen Sicht vom Nahen Osten. Jede Menge schöner Sachen. Für jeden Geschmack nicht nur etwas, sondern ganze Schatztruhen. Wer mit kostbaren alten Teppichen nichts anfangen kann, wen die alten Handwerkskünste kalt lassen, der kann sich stürzen auf Abu-l-Izz Isma'il Ibn ar-Razzaz al-Dschazaris (2.Hälfte des 12. Jhdts.) Traktat „Über mechanische Automaten“, auf Al -Sigazis (951-1024) Abhandlung „Über die Eigenschaften der Senkrechten“. Die speziellsten Interessen werden bedient, einige allgemeinere freilich bleiben merkwürdig unberücksichtigt. Zum Beispiel der massive Einfluß der arabischen Literatur auf unsere Überlieferung. Habe ich sie übersehen oder kommen die „Märchen aus 1001 Nacht“ wirklich nicht vor? Welche Rolle spielen die Opiumpfeifen in unserem Orientbild und welche spielen sie in der Ausstellung? Angesichts der überwältigenden Fülle der Exponate, ihrer durchgehend hervorragenden Qualität, noch mehr einzuklagen, ist lächerlich. Reden wir also von dem, was es gibt. Das ist immer noch bei weitem zu viel für zwei Augen und ein paar Vormittagsstunden. Nach zwei Besuchen habe ich nur die Zeugnisse der europäischen Ägyptomanie gesehen.

Vom Budenzauber, den David Roberts „Sphinx und Pyramide von Gizeh“, London 1849, entfaltet, geben Abbildungen nichts wieder. Die von einem sich nähernden Sandsturm verdunkelte Sonne, deren Glutrot kleine Lichter wirft auf die hinter ihren Kamelen sich schützenden Menschen, die winzig wirken neben dem Profil der steinernen Sphinx von Gizeh... Kitsch as Kitsch can. Schon allein das ist den Besuch der Ausstellung wert.

Die Ägyptomanie erfaßte über ein Jahrhundert lang die meisten europäischen Länder. Es gab zwischen 1750 und 1850 keinen Gegenstand, der nicht irgendwann einmal ägyptisch interpretiert worden wäre. Keinen Gegenstand und keinen Gedanken, ist man versucht zu sagen. Schinkels berühmte Dekorationen zur Zauberflöte bezeugen das ebenso deutlich wie all die Chaiselongues des Empire, auf denen sich die Luisen und Lady Hamiltons der Napoleonischen Zeit räkelten. In der Ausstellung bezeugt das u.a. Thomas Hopes „Ruhebett im ägyptischen Geschmack“, entstanden zwischen 1799 und 1803: Mahagoni, bemalt, vergoldete Bronze. Thomas Hope, ein reicher englischer Sammler, hatte in seiner Londoner Stadtwohnung ein ägyptisches Zimmer, aus der das ausgestellte Ruhebett stammt. Es fehlt nicht an Tassen und Untertassen im ägyptischen Stil, an Kaffeservicen und Prunktellern. Alles nur vom Feinsten. Aus den Königlichen Porzellanmanufakturen in Meißen und Wien, Berlin und Sevres.

Mitten drin, zwischen all den europäischen Übernahmen, Adaptionen ein paar ägyptische Originale. Darunter das Standbild des Gottes Horus, Ägypten, um 1250 vor. Chr., 163 Zentimeter groß. Ein massiver Mann mit Falkenkopf. Eine berühmte Statue. Sie steht heute in den Staatlichen Sammlungen Ägyptischer Kunst in München. 1635 wurde sie gefunden. In der Nähe der Kirche Santa Maria sopra Minerva in Rom. Die Statue erscheint in den meisten einschlägigen Werken des 17. und 18. Jahrhunderts. Im Katalog ist sie übrigens einmal aus Granit und das andere Mal aus schwarzem Syenit.

Sie verändert unseren Blick auf die anderen Ausstellungsstücke. Sie wirken alle nur noch lieblich. Harmlose Tändeleien, die nichts zu tun haben wollen mit dem terroristischen Grauen dieses steinernen Gastes.

Das entzückende 46 cm hohe Marmorköpfchen, das die Bildhauerin Anne Seymour Damer (1748-1828) um 1789 machte und das ihre Freundin Miss Freeman als Isis darstellt, mag alles mögliche bedeuten, und wer sich zu Freeman und 1789 nichts durch den Kopf gehen läßt und wem zu Isis nichts einfällt in diesem Zusammenhang, der ist eh rettungslos verloren, aber von der Göttin, die ihren Gatten und Bruder betrauerte und wieder zum Leben erweckte, ist nichts in diesem klaren Gesicht. Der Terror der ägyptischen Götterwelt, der Schrecken, den sie verbreitete, wurde so sehr verniedlicht, daß der Zusammenhang von Gewalt und Wissen, von Macht und Religion aufgelöst wurde in zarter, freimaurerisch gebildeter Humanität.

Wer durch die Ausstellung geht, fragt sich, warum gerade das Grausigste zum Humansten umformuliert wurde? Warum führte der Weg zur Emanzipation des Verstandes und der Gefühle durch die Menagerie dieser granitenen Ungetüme, durch die Bilderwelten absoluter Unterwerfungen? Die riesige Sphinx, die Pyramiden - alles Werke, bei deren Anblick die Tausende von Sklaven, die sie errichteten, stets mitgedacht wurden. Die übermenschlich-unmenschlichen Felsbrocken, die zu bewegen ganze Heerlager aufgeboten werden mußten, sie signalisieren nur das Eine: Unterwerfung. Die europäische Ägyptenmode aber bedient sich dieser Bilder und behauptet etwas ganz anderes mit ihnen ausdrücken zu wollen. Isis ist die Göttin einer humanen Weisheit, einer sich ironisch selbst verstehenden, geschwisterlichen Vernunft. Die Sphinx die Unlösbarkeit des Rätsels, das das Dasein selbst ist, nicht das Sinnbild seiner unmenschlichen Abhängigkeit.

Die europäische Intelligenz und ihre Handwerker entflohen dem europäischen Absolutismus und fanden Befreiung ausgerechnet in der Bilderwelt des orientalischen Despotismus. Les Maos n'etaient pas le debut. Vielleicht gehört es zur von Marcuse verschwiegenen Seite der Dialektik der Befreiung, daß sie sich immer wieder dem noch Schlimmeren zuwendet.

Wer diese Gedanken für gar zu abwegig hält, der sehe sich den schreitenden Horus an und dann einen Tafelaufsatz, entstanden in Sevres zwischen 1804 und 1812. Er zeigt das Tempeltor von Karnak. Der riesige Bau mit dem Relief, das vorführt, wie Pharao Thutmosis III. seine asiatischen Gefangenen einer nackten Göttin offeriert. Ein imperiales Werk für den Imperator Europas: Napoleon. Aber verniedlicht, salonfähig gemacht im zartesten Biskuit-Porzellan, das die berühmteste Manufaktur anbieten konnte. Ein blaß-weißes Zauberwerk, das den Schrecken zitiert, um ihn nicht zu beschwören.

Ganz anders die Gemälde John Martins (1789-1854). Drei Mezzotinto-Blätter, einander beim ersten Blick fast zum Verwechseln ähnlich: Das Fest des Belsazar (1826), Der Untergang von Ninive (1829) und Der Fall Babylons (1831). Dramatisches Hell-Dunkel, riesige zerfallende Architekturen mit fliehenden, sterbenden Menschen.

Von Verniedlichung hier keine Spur. Donner und Blitz stattdessen. Aber es ist Theaterdonner, dekorativ ausgeworfen das Licht wie ein Samtmantel. Die Angst wird nicht weggekapselt ins kleine Format, sondern dramatisch entfaltet, ausgespielt wie im Horrorfilm.

Der schreitende Horus dagegen ist der Schrecken selbst. Er ist schrecklicher noch, weil er es nicht weiß. An ihm scheint nichts inszeniert.

Der Sevres-Tafelaufsatz bringt das Fremde als zierliche Beute an den napoleonischen Hof, John Martin wirft dem Betrachter einen britischen Schauerroman über den Rücken. Beide verrichten ihre Arbeit kunstvoll und mit großem Erfolg beim zeitgenössischen Publikum. Die archaische Angst vor den erhabenen Göttern, vorm Maßlos-Unmenschlichen ihrer Ansprüche, leugnen sie beide. Sie leugnen damit, so wird deutlich, gerade nicht das Fremde, sondern die eigene Angst.

Europa und der Orient 800 - 1900, Martin Gropius-Bau. Die Ausstellung ist noch bis zum 27. August geöffnet.

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