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Engel fliegen tief

■ Zum Kirchentag dann die passende Ausstellung: Engel in allen Variationen, grenzüberschreitend und gelegentlich merkwürdig materialisiert

Nicht nur Leichtmetallflugzeuge fliegen unbeobachtet und überraschend über die Mauer; neuerdings überqueren auch Engel die Grenze, sozusagen beruflich unterwegs, werden sie doch zum Kirchentag erwartet. Gemalte Engel, genähte, gehämmerte, aus Polyacryl und Metall: dem Evangelischen Bildungswerk Berlin gelang es gemeinsam mit dem Kunstdienst der Evangelischen Kirche (DDR), Werke von 48 Künstlern aus der BRD, DDR und West-Berlin zusammenzubringen, erstmals ohne die Vermittlung des staatlichen Kunsthandels der DDR.

Um ein Engelchen, das kaum noch zu hören ist, trauert Gerhard Altenbourg in einer Radierung. Von den zusammengekniffenen Lippen eines augen- und ohrenlosen Profils schwebt verschwindend klein, mit kaum noch wahrnehmbaren dünnen Linien gezeichnet, ein Flügelwesen. „Sprichst du zu mir? Oder schweigst du?“ hat Altenbourg unter diesen ängstlichen Traum vom Verlust der Engel notiert.

Eine schimmernde Engelsfigur, die in ihrer reduzierten und einfachen Form eine romanische Basilika so gut wie ein postmodernes Kirchenschiff bereichern würde, hat Ute Lechner aus Messing gebaut. Das Engelsmotiv verleiht dem Messing einen wunderbaren Anschein von Kostbarkeit.

Ralf Klements „Weiße Verkündigung“ hängt im Schiff der St. Matthäuskirche wie eine mittelalterliche Flugmaschine. Zwischen Rahmen aus Holz und Seil spannt sich sprödes Papier, in skurriler Verdrehung der Flächen zueinander. Das Objekt erscheint zart und anfällig und erzählt von der Zerstörbarkeit der Träume des engelsgleichen Fluges und von der Gefahr des Sturzes.

In „Die Engel kommen runter“ von Klara Zwick ist es für jeden Glauben zu spät. Die Gestalten, die die Malerin mit dicken schwarzen und weißen Pinselstrichen in einem Rutsch von oben ins Bild sausen läßt, haben allen überirdischen Glanz verloren. Wild grinsen sie uns an; mitnichten kamen diese kleinen Plagegeister auf die Erde, um uns zu beschützen, sondern um in Unvernunft herumzutoben und auf unsere engelsgleiche Güte zu hoffen.

Kaum noch tauchen die Engel in dieser Ausstellung in ihren traditionellen Rollen des Beschützens oder der Trauer auf. Ihr Drang zur Verkündigung hat ebenso nachgelassen wie ihre Streitbarkeit. Im Repertoire der Postmoderne sind sie für die einen zu einem Versatzstück geworden, das man nur in seiner alten Form zitieren kann (Inge Pape, Matthias Koeppel), für die anderen aber zu einem noch immer die Phantasie beflügelnden Motiv - zu einem Traum, den man nicht aufgeben will.

Katrin Bettina Müller

Engel '89 im Fernsehzentrum SFB (Masurenallee 8-14, B19) + Matthäuskirche (Matthäikirchplatz, 1-30), täglich jeweils 10 -18 Uhr bis zum 2.Juli.

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