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Ohne Frauen bleibt die Kirche leer

■ Zwei Berliner Pfarrerinnen zur männlich dominierten Theologie, zu den weiblichen und männlichen Aspekte Gottes und zur Krise der Kirche: „Feministische Theologie ist immer ein Prozeß“

Ulrike Rogatzki ist Gemeindepfarrerin in Berlin-Steglitz, Margarete Pauschert ist Pfarrerin in Berlin-Tiergarten.

taz: Sollen wir statt zu Gott jetzt zur Göttin beten? Oder was ist das Anliegen der feministischen Theologie?

Ulrike Rogatzki: In der feministischen Theologie werden keine fertigen Antworten gegeben, es wird also auch nicht vorgegeben, wie man zu beten hat. Feministische Theologie entsteht in der Diskussion und im Gespräch mit vielen verschiedenen Frauen, die auch unterschiedliche Gottes- und Göttinnenbilder haben. Feministische Theologie ist immer ein Prozeß.

Aber es ist doch ein Anliegen zumindest einer Richtung der feministischen Theologie, ein weibliches Gottesbild zu entwerfen.

Margarete Pauschert: Mir kommt es darauf an, die weiblichen Anteile Gottes immer wieder neu aus den Texten heraus zu erkennen und mit eigenen Vorstellungen zu füllen. Das bedeutet nicht, daß ich an eine Göttin denke. Das wäre dasselbe, was wir jetzt haben, nur unter anderen Vorzeichen. Ein Gottesbild hat sowohl männliche als auch weibliche Anteile, denn als Frau habe ich sehr wohl auch männliche Anteile, die ich nicht verleugnen möchte.

Welche Aspekte Ihres Gottesbildes bezeichnen Sie als „weiblich“?

M.P.: Für mich ist das Weibliche das Verbindende, daß alles mit allem zusammenhängt. Außerdem sage ich immer häufiger „Gottheit“ statt „Gott“ um deutlich zu machen, daß beide Aspekte enthalten sind.

Besteht nicht die Gefahr, daß Sie mit den „weiblichen“ Aspekten Gottes auch ein traditionelles Frauenbild transportieren?

U.R.: Wenn ich als Frau in der Männerdomäne Theologie gegen ein männlich geprägtes Gottesbild angehe und sage, ich will da weibliche Seiten sehen, die selbstverständlich gesellschaftsbedingt „weiblich“ sind, sprenge ich den Rahmen, der Frauen üblicherweise zugestanden wird.

Ist Gott nicht jenseits dieser Kategorien männlich / weiblich und Vater / Mutter?

U.R.: Wie weit? (beide lachen) Gott ist etwas sehr Diesseitiges, weil ich diesseitig bin. Weil wir traditionell solch männlich bestimmtes Gottesbild haben, müssen jetzt erstmal die weiblichen Aspekte stark betont werden.

Biblische Frauengestalten zu entdecken und sie aus ihrem patriarchalischen Kontext zu befreien ist ebenfalls ein Anliegen der feministischen Theologie. Welche Frauen sind da für Sie wichtig?

M.P.: Ich fand meinen Einstieg über die Frau am Brunnen. Jesus redet mit dieser Frau aus Samaria außerhalb des Ortes am Brunnen. Sie erscheint dort zu einer ungewöhnlichen Tageszeit und alleine. Das läßt verschiedene Deutungen zu, unter anderem, daß sie einen unsittlichen Lebenswandel führt, ausgestoßen ist aus der Dorfgemeinschaft. Es entwickelt sich ein Gespräch zwischen Jesus und dieser Frau, das darin sein Ziel findet, daß Jesus zum erstenmal zugibt, daß er der Messias ist. Lange bevor das berühmte Petrusbekenntnis erscheint, ist sie die erste, die Jesus zu diesem Prozeß bringt. Über diesen Text habe ich häufig gepredigt, aber plötzlich ist es mir gelungen, mich mit dieser Frau zu identifizieren. Ihr penetrantes Gefrage habe ich nicht mehr als Nörgelei empfunden, sondern als einen die Wahrheit vorantreibenden Prozeß. Und Jesus habe ich erlebt als jemand, der mir nicht sagt „Du und Deine doofen Fragen!“, wie ich das an der Universität und von männlichen Kollegen stundenlang gehört habe. Dieses Gespräch hat eine andere Qualität und gelangt zu einem anderen Ziel. Der Anteil der Frau ist nicht unerheblich, denn Jesus hatte ursprünglich gar nicht vor, offen zuzugeben, daß er der Messias ist, auf den so viele Menschen gewartet haben. Das war für mich der Durchbruch: ich erkannte, ich bin in dieser Frau vorhanden in meiner Art zu fragen, und ich werde nicht abgebügelt.

Wie ist die traditionelle Deutung dieser Geschichte?

M.P.: In der traditionellen Deutung wird selbstverständlich nur auf den Mann Jesus abgehoben. Von der Frau ist gar nicht die Rede.

Welche Bedeutung hat diese feministische Bibelarbeit für die Frauen in der Kirche?

M.P.: Sie trägt wesentlich zur Mündigkeit bei. Frauen werden in ihrer Identität bestärkt. Sie erkennen, daß sie selbst etwas tun können und daß das, was sie tun, einen Wert hat. Wenn wir uns auf die von Männern abgeleitete Autorität verlassen, dann sind wir verlassen. Denn Jesus selbst geht weiter, und wir müssen auch weiter gehen.

Männer führen eine Frauenkirche. In den Gottesdiensten sitzen ganz überwiegend Frauen, Frauen leisten viel ehrenamtliche oder gering bezahlte Arbeit, und in den Leitungspositionen sitzen die Männer. Wie wird das endlich anders? Fordern Sie Quotierung, Frauenbeauftragte oder zumindest Frauenförderung?

U.R.: Vor drei bis vier Jahren forderten wir Quotierung, inzwischen ziehen wir mit am Seil, wenn eine leitende Stelle ausgeschrieben ist. Wir versuchen, die Quotierung zu leben. Bei jeder einzelnen Stelle versuchen wir, eine Frau zu befördern. In Berlin sind wir damit ziemlich erfolgreich. Noch vor einem Jahr gab es keine einzige Superintendentin, jetzt sind es immerhin schon zwei von insgesamt zwölf.

M.P.: Das ist ein harter Kampf. Bundesweit gibt es nur vier Frauen in solch einer hohen Position. In Frankfurt gibt es eine Pröbstin, in Baden-Württemberg eine Dekanin und unsere beiden Superintendentinnen. (Dies sind regional unterschiedliche Bezeichnungen für die Leitung eines Kirchenkreises; d. Red.) In Berlin sind es allerdings die beiden kleinsten Kirchenkreise, die eine Superintendentin haben. Ich will mehr als Quotierung, mir reicht das nicht, da müssen wir zu lange warten.

U.R.: In Bayern gibt es eine Frauenbeauftragte. Die fordern wir in Berlin auch, bislang jedoch ohne Erfolg.

Die Kirche ist in einer Krise. Die Gottesdienste sind leer, die Kirchenaustritte zahlreich. Viele Menschen, die glauben, haben mit Kirche nichts (mehr) zu tun. Liegt das an der patriarchalischen Struktur der Kirche?

M.P.: Mit Sicherheit. Nachdem im 19.Jahrhundert die Arbeiter der Kirche davonliefen, weil sie ihnen nichts zu sagen hatte, sind jetzt die Frauen dabei, aus der Kirche abzuhauen. Wenn die Frauen weg sind, dann ist die Kirche endgültig leer.

Haben Sie als feministische Theologinnen die Kraft, die Kirche umzumodeln, so daß Frauen die Kirche wieder annehmen?

U.R.: Es gibt nicht nur Kirchenaustritte, sondern auch gezielte Kircheneintritte von Frauen in Gemeinden, wo es eine Pfarrerin gibt. Sie sagen, daß sie mit ihrem Wiedereintritt demonstrieren wollen, daß sie damals aus der Männerkirche ausgetreten sind und nun in etwas anderes wieder eintreten.

Überwiegend ist aber die Kirchenferne. Die Leute haben überhaupt keinen Kontakt mehr zur Kirche - von Taufe und Beerdigung abgesehen. Sie empfinden die Kirche als starr, kalt, nicht lebendig.

U.R.: Das negative Urteil, dem ich bei diesen Leuten oft begegne - zum Beispiel, daß die Kirche total frauenfeindlich ist - ist noch stärker, als die Realität mittlerweile ist. Leute, die der Kirche fern sind, merken ja nichts von den Veränderungen.

M.P.: Pausenlos wird darüber geredet, wie entsetzlich diese Kirche ist und wenn ich dann nachfrage, wann sie das letztemal in der Kirche waren, stellt sich heraus, es war bei der eigenen Konfirmation. Mittlerweile sind aber mindestens 15 Jahre vergangen. Dann werde ich sehr wütend. Bar jeder Sachkenntnis werden Urteile abgegeben, das ist pure Ignoranz.

Wie können auch kirchenferne Menschen von diesen Veränderungen erfahren, die Sie feststellen?

M.P.: Ulrike Rogatzki wird Pröbstin und für die Bischöfin werden wir auch noch ein passende Frau finden! (beide lachen laut). Frauen in leitenden Positionen würden auf jeden Fall ein klares Signal setzen, daß die Kirche lebendig ist und sich verändert.

Interview: Gunhild Schöller

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