: Nummern-Revue über Aids
■ Premiere der „PARISER REVUE - Was heißt denn hier eigentlich AIDS?“
Eine Zeitlang verbreiteten Zeitungen und Zeitschriften Panik: kein Montag, kein Donnerstag ohne Artikel, die in AIDS-Angst und Schrecken versetzten. Doch dann war das Thema ausgereizt, das epidemische Sterben um uns herum hatte nicht eingesetzt, AIDS verschwand aus den Schlagzeilen, blieb die Krankheit der „anderen“, weggedrängt, stigmatisiert. Gegen Hysterisierung und Verdrängung anspielen will die Gruppe „Volles Risiko“ - Schüler und Lehrer unter der Leitung von Theaterpädagogin Karin Oeljeklaus; mit Witz, Schwung, Biß und mit leisen, nachdenklichen Tönen. „Was heißt denn hier eigentlich AIDS?“ ist eine Nummern-Revue, eine Collage disparater Szenen. Einige der Splitter fügen sich zu zwei fragmentarischen Geschichten.
Da ist einmal die junge, 23-jährige Frau (Birgit Schütt); sie ist „positiv“. Der Freund zieht sich zurück, die Eltern lassen sie fallen - weniger aus Hartherzigkeit, denn aus Angst und aus Unfähigkeit, auf die aidsinfizierte Freundin bzw. Tochter menschlich zu reagieren. Die Eltern, der Freund, nur als Schattenriß zu sehen, werden nicht zu Abziehbildern. Ein doppeltes Identifika
tionsangebot. Wie, wenn man selbst „positiv“ wäre? Oder ein naher, geliebter Mensch? Birgit Schütt spielt - leise, in sich gekauert, dann wieder voller Wut und Zorn - die junge AIDS-Kranke, die immer stärker isoliert und gemieden wird wie eine Aussätzige; die sich selbst zurückzieht, bis sie, am Ende der Revue, die Isolation durchbricht, leben will.
Parallel dazu erzählen Sabine Krüger und Ingo Werner die Geschichte zweier Jugendlicher und ihrer Schwierigkeiten mit der ersten Liebe. „Kalte Füße“ bekommt Sabine sowieso jedesmal. Und dazu noch „diese Sache mit AIDS“. Es ist richtig rührend, wie Sabine und Ingo unter einer Decke kauern, er schmiegt sich immer enger an sie, sie hält sich immer verzweifelter fest an einer Zeitschrift: bis die Angst sie mit einem Satz aus der Decke springen läßt, zugleich ärgerlich darüber, daß sie Angst hat. Er weiß auch nicht so recht, was er machen soll. Eine schöne, einfühlsame Szene. Und als hätten die beiden damit nicht genug zu tun, plagen sie sich auch noch mit einer diffusen AIDS-ANGST. Als sie sich entschließen, Präser zu verwenden, traut Ingo sich nicht, in der Apotheke zu fragen.
Diese beiden Geschichten werden immer wieder unterbrochen oder auf einer anderen Ebene weitergeführt; mit Szenen und Songs in einer schrilleren Tonart, die auf ganz verschiedene Weise schlaglichtartig eine ganze Reihe von moralischen, gesellschaftlichen, medizinischen, seelischen Zusammenhängen beleuchten; witzig, manchmal auch mit ziemlich makabren Humor. Zum Beispiel, wenn zwei „Damen“ im engen, geschlitzten, weinroten Samtkleid und ein „Herr“ im weißen Anzug das Bräunungsstudio AIDSICO anpreisen, damit die Hinterbliebenen nicht auch noch einen blassen, unansehnlichen, sichtbar von der Krankheit Gezeichneten unter die Erde bringen müssen, oder wenn sie für das „Animationsteam für die letzten Tage“ werben, das natürlich nicht ganz billig ist. Leicht und schwebend und sehr vergnüglich hingegen ist die „Pariser Revue“, die Szene, die dem Stück den Namen gab: da tänzeln, hüpfen, stöckeln die Schauspieler in „Pariser„-Kostümen auf die Bühne, ein Pariser für jeden Typ und jede Gelegenheit, vom flatternden Schmetterling bis zum mausgrauen Beamtenpräser. Christine Spies
12.-16.6 für 20 Uhr. (Vorbest.: 19.u. 20.6., 11 Uhr, 3506 -124)
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