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Blumen für Stukenbrock

Der Besuch am sowjetischen Ehrenfriedhof / Peinliche Erinnerung für deutsche Politik  ■  Aus Stukenbrock Petra Bornhöft

In letzter Sekunde war es jemand eingefallen, die britischen Panzer am angrenzenden Truppenübungsplatz um eine Mittagspause zu ersuchen. Kaum war das militärische Geräusch unmittelbar neben dem „sowjetischen Ehrenfriedhof“ an der B 68 zwischen Paderborn und Bielefeld verklungen, da rollte die schwarze Limousine mit Raissa Gorbatschowa vor. Sie war gekommen, um die 65.000 sowjetischen Kriegsgefangenen, die dort zwischen 1941 und 1945 verscharrt wurden, zu ehren.

Kein ranghoher deutscher Politiker, geschweige denn ein Staatsoberhaupt hat es je für nötig befunden, sich dort zu verneigen.

In unmittelbarer Nähe der Massengräber befand sich das „Stammlager 326“, in dem die Kriegsgefangenen in Erdhöhlen und Baracken verdreckten, verhungerten und verreckten. Heute steht auf dem Gelände eine Landespolizeischule. Den Bau eines Museums verschleppen Gemeinde und Landesregierung seit Jahren.

Etwa 1.200 Menschen empfingen Raissa Gorbatschowa, Hannelore Kohl und Christina Rau. Erstmals seit Bestehen des „Arbeitskreises Blumen für Stukenbrock“ nahm auch der örtliche Bürgermeister an dessen Veranstaltung teil. 1967 gegründet, erinnert der Arbeitskreis an die Verbrechen von Wehrmacht und SS. Auf seine Initiative und mit Unterstützung von Pfarrer Heinrich Albertz nahmen die Sowjets den Besuch in das Damenprogramm der Staatsvisite auf.

Zwischen den Damen Kohl und Rau schritt die Gorbatschowa durch das gepflegte Birken-Lärchen-Wäldchen. Am Obelisk entrollte sie die Schärpe des Kranzes: „Den Mitbürgern von dem Vorsitzenden des Obersten Sowjets. Michail Gorbatschow“ stand darauf in kyrillischen Buchstaben.

Nach 20 Minuten Weges über den größten deutschen Kriegsfriedhof entschloß sich Raissa Gorbatschowa am Ausgang spontan zu mehreren kurzen Ansprachen für die Wartenden. Die Rede war von einer „ständigen Mahnung“ und „Dank an den Arbeitskreis“. Da konnte Hannelore Kohl es sich nicht verkneifen, die Anwesenden ebenfalls zu ermuntern „in Ihrer Erinnerungsarbeit fortzufahren“.

Das klang manchem wie blanker Hohn in den Ohren. 1963 wurde ein Gedenkstein abgerissen. An seine Stelle wurde ein Mahnmal für die Vertriebenen aus dem Osten gesetzt! Auch die rote Fahne aus Glasplastik auf dem 1945 von Überlebenden erbauten Obelisk verschwand auf Anordnung der CDU zugunsten eines orthodoxen Kreuzes. Die Aktivitäten des Arbeitskreises registrierte der Verfassungsschutz nachweislich bis 1987 als verfassungsfeindlich. Bundeswehrsoldaten, die in Uniform an den Versammlungen zum Anti-Kriegstag teilnahmen, erhielten Disziplinarstrafen. Offizielles Bedauern bekundeten bundesdeutsche Militärs an „Volkstrauertagen“. Gestern, nur wenige Minuten nachdem die PKW-Kolonne mit den Staatsgästen Stukenbrock verlassen hatte, ratterten die britischen Panzer erneut durch das Gelände.

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