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Der STINT, die STINTE

■ Am Montagabend stellte sich „STINT - die Literatur aus Bremen“ vor

„Gibt's hier was besonderes?“, fragt eine Passantin angesichts der sprechenden Hitze, die aus dem überfüllten Cafe Grün pulst wie an einem Vorabend zu einem echten Großstadtsommer. „Nein“, sagt Herr Gosau ein bißchen erschrocken, „bloß der neue STINT“, und läßt probehalber ein kleines Ausrufezeichen mitschwingen. „Stint?“, fragt es aber zurück. Ja, aus dem STINT, Ausgabe 5 der „Literatur aus Bremen“, wird hier vorgelesen. STINT, so hatte Bernd Gosau, einer der sechs Redaktionsmänner, uns eingeführt, soll nicht den deutschen Knochenfisch meinen, sondern das englische „Stocken“ und ist in praxi eine Anthologie, die mit „Bremen“ ein weitgefaßtes Motto gesucht und überall was dazu gefunden hat. Als parallele Erlebnisebene zur Lesung spielt das Publikum das Stück „Sommergäste“ und hört auf hohem Niveau zu. Die ersten Texte sind Gedichte von Sujata Bhatt, die gerade den „Commonwealth Poetry Prize“ erhalten hat und seit zwei Jahren in Bremen lebt. Weil sie auch eine Mutter ist, muß eben Jürgen Gierken lesen (zuerst den Originaltext, dann in deutsch). Er hat ihre Gedichte auch aus dem Englischen übersetzt. Die Berichterstatterin auf Horchposten an der Demarkationslinie zwischen Literatur und Trottoir wird gefangen genommen von der Musikalität und der unangestrengten Poesie von einer, die keine entlegenen Wörter braucht, um sich kraftvoll auszudrücken. Zum Beispiel im langen Gedicht „Clara Westhoff an Rainer Maria Rilke“, erste Strophe: „No road leads / to this old house we chose. / Its roof of straw scattered / by the

loud wind wheezing / its North Sea sounds. / No roads leads / to this old house we chose.“ Die Dichte ihrer Sprache geht in der deutschen Übersetzung verloren, wenn der Anfang heißt: „Keine Straße führt / zu diesem alten Haus, das wir uns ausgesucht haben“. Und wo der Wind auf einmal „seine Nordseelaute keucht“.

Pause.

Auf der Galerie kann publikum sich in den Pausen polaroidig (künstlerisch verfremdet selbstverständlich) festhalten lassen und hat so ein individuell bleibendes Erinnerungsereignis. Der Ansturm ist groß. Der zweite Text kommt von einem DDR-Autor mit Namen Ludwig Schumann und heißt „Scherbengericht“, von einer jungen Dame vorgelesen. Es geht um einen Spiegel, der schräg hängt und - und? Natürlich blind ist. Und dies sein darf. Obwohl: „Die Berge von Falten, in denen die Jahre wie Läuse nisten. Diese Haut, die ich hinter mir herzog, als ich noch laufen konnte. Herzog. Wie der Herzog das Dienstmädchen nur vernaschen wollte und dann nicht mehr loskam von ihr (...)“. Polaroidpause. Als dritter ein junger Erstdichter, geboren '68, allerdings in Kischinew, Bessarabien, UdSSR, seit '81 wohnhaft in Nienburg. Blaß, aufgeregt, Pony mit Mittelscheitel, wie Dichter so sind, liest Andrej Glusgold aus seinem STINT-Zyklus „Diesseits“ unter anderem das dritte Gedicht „Gedanken!“. Diese werden gehaßt, daß die „Aaswürmer (...) an meinem Kopf“ nagen, bis „Gehirnwindungen zu breiten Furchen“ werden. Polaroidpause. Max Schmalz liest aus

„Anton Reiser“ von Karl Philipp Moritz, den J.G.König im STINT zitiert. Des guten Mannes Reisen führten ihn nun mal Bremen zu, und da kommt kein Literaturbegeisterter vorbei. Im Hintergrund dazu dramatische Musik aus der Konserve. Ein Zuhörer kennt Anton Reiser und saugt heftig wissend an seiner Zigarette. Auf die Frage, ob es ihm hier gefällt, überlegt er redlich lange und findet es dann „nett“, hätte aber doch gerne erfahren, was die Autoren so mit ihren Texten meinen. Polaroidpause. Michael Augustin ist an der Reihe und liest als erster auch das Eigene. Endlich kommt Freude auf, ja, man muß lachen, seine lakonischen kleinen Doppeldeutigkeiten treffen die Sachverhalte in's Humorschwarze. Da - ein Besoffener von draußen: „Scheißgesabbel“, „Spinner“. Der Autor läßt ihn lesen. Da ist er überrumpelt beschämt und liest mit schwerfälliger Zunge einige Sätze vor. Das ist spontan, das ist exotisch. Danach gibt er Ruhe. Als letzter stellt Peer Meter sein Collagenstück über Gesche Gottfried vor, das er aus den von der DDR zurückgegebenen Archivalien erarbeitet hat. Er hat Originalzitate der Gottfried und Stimmen von Zeitzeugen kombiniert und sieht die berühmte Bremer Mäusebuttermörderin als Fall für die Psychatrie: „Ein Bremer Trauma, das bis heute wirkt“, ist er überzeugt.

Nach drei Stunden ist der STINT zu Ende vorgestellt und Bernd Gosau ist zufrieden. Das Auditorium war erstaunlich jung und vielzählig. Der STINT und seine Macher wollen auch weiterhin ihr Publikum finden. Claudia Kohlhas

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