: Rentnerin von Mieter gewürgt
■ Wenn's keinen Rum gab, gab's Schläge / Opfer ließ Gnade vor Recht gehen
Wenn es nach Isabetha R., einer 80jährigen Rentnerin aus Findorff, gegangen wäre, hätte Amtsrichter Mertens sich gestern ruhig einen freien Tag nehmen können. Isabetha R. sitzt allerdings nicht als Angeklagte auf der Zeugenbank. R. ist das Opfer der Straftat, über die das Gericht zu entscheiden hat. Angeklagt ist Georg S., 71jähriger Untermieter der Rentnerin.
Am 28. Dezember 1988 verfolgte S. seine Vermieterin zunächst in ihr Schlafzimmer, warf sie aufs Bett und würgte sie. Die Frau hatte sich ausnahmsweise geweigert, ihrem Untermieter 20 Mark zu leihen. Einen Tag später schlug er ihr in der gemeinsamen Küche ein blaues Auge, an ihrem
rechten Nasenflügel blutete eine Rißwunde. Der Grund diesmal: Die Hausherrin hatte keinen Rum mehr für Grog im Hause.
Daß Georg S. dafür ins Gefängnis muß, will die Hausherrin dennoch auf keinen Fall. Die alte Dame will S. nicht bestrafen, sie will ihm helfen. So wie sie dem vielfach vorbestraften, alkohlabhängigen Mann seit Monaten zu helfen versucht hat.
Seit S. bei ihr eingezogen ist, bekommt er fast täglich 10 Mark von ihr - die Quittungen über die regelmäßigen Kredite häufen sich bei Isabetha R. Schon kurz nachdem sie von ihrem Untermieter übel zugerichtet wurde, hatte R. versucht, ihre Anzeige bei der Polizei zurückzunehmen.
Inzwischen hat S. eine Entziehungskur begonnen. Seine guten Vorsätze und die Appelle des Opfers beeindrucken auch das Gericht. Sieben Monate, ausgesetzt zur Bewährung, lautet das Urteil. Vorausgesetzt: Georg S. verzichtet ab sofort auf jeden Tropfen Alkohol.
Nach der Urteilsverkündung können Isabetha R. und Georg S. in die gemeinsame Wohnung zurückkehren. Nach ihrer Vernehmung bietet Richter der alten Dame an, ihr ein Taxi zu bestellen. „Ich bin stark genug“, lehnt R. ab. Ihre Befürchtung: Im Falle einer Verurteilung hätte Georg S. die Taxi-Kosten übernehmen müssen. Da geht R. denn doch lieber zu Fuß.
P.F.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen