: Nachruf auf eine Utopie
Zum Verbot des Polenmarktes in Berlin ■ K O M M E N T A R E
Ausländer rein, Polen raus! Der rot-grüne Senat hat das Polen(markt)problem gelöst - durch das Verbot. Was war das „Problem“? Eine verelendete Mittelklasse, gediegen und grau, verkaufte schlicht alles, was sie aus Polen herüberbringen konnte. Sie provozierte den Neid der Flohmarkthändler, die Sachwalter deutscher Hygiene. Und sie provozierte vor allem die Angst vor den Polen, die noch kommen würden. Der Rest der Bevölkerung sah in dem Markt schlichtweg etwas Lebendiges, Attraktives, eine kleine Vorwegnahme einer Ost -West-Kultur, die um einige Grade authentischer (und beunruhigender) war als die Schriftstellertransfers und die Inszenierungen von Mitteleuropa. Ganz abgesehen davon, daß die Butter die Hälfte kostete.
Mit dem Polenmarkt trat die wirkliche politisch -geographische Lage Berlins zum ersten Mal in Erscheinung befreit von der Teilung der Welt. Das Schaufenster des Westens, umlagert von Schwarzhändlern des Ostens. Diese Lage Berlins, mitten in einem der schärfsten ökonomische Gegensätze der Welt, wird bleiben, auch wenn die Polen zunächst vertrieben sein werden. Die Polen machten sich, symbolisch genug, breit in der märkischen Brache des Potsdamer Platzes, einst der verkehrsreichste Platz Europas; sie machten sich breit im „Kulturforum“, jener jahrzehntealten Leere zwischen den architektonischen Monologen eines Mies van der Rohe oder eines Scharoun. In diesem „Kulturforum“, dem bislang die Menschen und die Ideen fehlten, in dem die Kaninchen wechselten und Bildhauer aus Ost und West Werke hinterließen, schäumte es auf einmal von Kommunikation und realsozialistischem Einwickelpapier. Handelskultur statt Hochkultur.
Der rot-grüne Senat hat nun einen neuen Trick, eine zollrechtliche Bestimmung entdeckt und ein paar Argumente aufgebaut: er bedauert Auswüchse, „Kommerzialisierungen“ durch die „polnischen Gäste„; vor allem zerbricht er sich aber den Kopf des polnischen Staates - staatlich subventionierte Waren würden die Polen verkaufen. Was diesen Polen nützt, schadet Polen. Traditionsgemäß weiß man hierzulande eben immer besser als die Polen, was Polen braucht. Mit der Polizei gewissermaßen nimmt nun auch Berlin am runden Tisch Platz. Die „Brückenfunktion“ Berlins, das ist der Basso continuo der Berlinrhetorik. Nun haben Polen, vom Elend getrieben, die Brücke geschlagen. Aber bitte, wir wollen ja eine Brücke zum Profit, nicht zum Elend, selbst wenn wir noch mit den Elenden Gewinn machen könnten.
Die verantwortlichen AL-Politiker? Abgesehen davon, daß auch sie in den Polen hauptsächlich Träger von zweifelhaften Würsten und Verursacher von Exkrementen sehen, akzeptieren auch sie diese endgültige Lösung des Polenproblems bislang. Wegen eines neuen Grenzübergangs, wegen bedrohter Frösche und Lurche riskiert die AL gar den Koalitionsbruch. Aber 8.000 Polen, die aus West-Berlin einen Monatsverdienst rausholen wollen, haben nicht den Rang unserer Lurche. Sie gehören nicht ins Biotop.
Die Arie von der multikulturellen Gesellschaft zieht sich durch das ganze Koalitionsprogramm. Aber offenbar will man keine kommerzielle Verunreinigung der multikulturellen Idylle. Offenbar ist die multikulturelle Gesellschaft nur als sozialarbeiterisches Modell, als antifaschistisches Bündnis, am besten als großer Verein der Opfer gegen die Republikaner gedacht. Lebendiger Handelsgeist, nicht politisierbarer Egoismus der wirklichen Menschen, das paßt nicht in die Utopie. Da der Senat das Elend nicht bannen, sondern nur die Elenden drangsalieren kann, wird man wohl auf Polizeirazzien, gemischt mit deutsch-polnischen Fluglättern für die „Gäste“, rechnen müssen. Wieder einmal zeigen die Linken, wie wenig sie zögern, Utopien mit Polizeigewalt abzusichern. Aber dieser Senat wird nicht nur die Polen vertreiben, er vertreibt auch den Traum einer mitteleuropäischen Stadt, einer freien (wenn auch nicht sauberen) Beziehung der Menschen zwischen Ost und West, er vertreibt die Vorboten einer kulturellen Vermischung, aus der allein die zukünftige Lebenskraft Berlins entspringen könnte.
Klaus Hartung
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen