: Polisario hofft auf die Vereinten Nationen
UNO-Generalsekretär verhandelt in Nordafrika über die Westsahara / Bei einem Referendum sollen die Sahrauis entscheiden, ob sie unabhängig oder Teil einer marokkanischen Föderation werden wollen / Marokkanische Regierung läßt die Polisario kalt auflaufen ■ Von Barbara Debus
Berlin (taz) - Wenn der marokkanische König Hassan II. über die Zukunft seiner Südprovinz Westsahara redet, spricht er gerne ein wenig deutsch. Nach dem föderalen Konzept der „Länder“ in der Bundesrepublik wolle er sein Reich umgestalten. Die Westsahara, von seinen Soldaten 1975/76 in einem blutigen Einmarsch besetzt, solle zu einem dieser sechs bis acht marokkanischen „Länder“ werden. Noch aber herrscht in der Westsahara Krieg zwischen der sahrauischen und der marokkanischen Armee, mittlerweile im 14. Jahr. Und noch steht das „Referendum“ aus, in dem nicht Hassan II., sondern ein Teil der sahrauischen Bevölkerung über die Zukunft der Westsahara entscheiden soll. Dieses Referendum wird derzeit von der UNO vorbereitet.
Die sahrauische und die marokkanische Führung verständigten sich bereits darauf, wer, wo worüber abstimmen darf: Das Referendum soll in der Westsahara stattfinden. Die 200.000 sahrauischen Flüchtlinge sollen vorher aus dem Exil zurückkehren. Abstimmen darf jedoch nur, wer sich 1974 in einer Volkszählung der damaligen spanischen Kolonialmacht erfassen ließ. Dies bedeutet erstens, daß ein Teil der Sahrauis nicht in die Wahlkabinen darf. Zweitens, daß keine(r) der 100.000 marokkanischen SiedlerInnen zum Referendum zugelassen ist. Auch die beiden Alternativen, die den Sahrauis auf den Stimmzetteln angeboten werden sollen, stehen bereits fest: Unabhängigkeit oder Angliederung an Marokko.
Überhaupt nicht geklärt ist jedoch die Frage, ob und wie sich marokkanische Armee und Verwaltung zum Zeitpunkt des Referendums aus der Westsahara zurückziehen. Hassan II. hatte sich bisher strikt geweigert, seine 140.000 Soldaten nach Marokko zurückzuholen. Die sahrauische Befreiungsbewegung „Frente Polisario“ schlug als Kompromiß vor, Marokko dürfe genausoviele Soldaten in der Westsahara stationiert lassen, wie es dort sahrauische Kämpfer gebe. Mit der Anwesenheit der marokkanischen SiedlerInnen hat sich die Polisario dagegen abgefunden, sie sollen unter sahrauischer Herrschaft in der Sahara bleiben dürfen, sich jedoch zum Zeitpunkt des Referendums von den Wahllokalen fernhalten. Vom 18. bis 22. Juni bereiste UNO -Generalsekretär Perez de Cuellar die Region, um in Mauretanien und in Algerien sowie in den von der Polisario kontrollierten Zonen der Westsahara und in Marokko über das Referendum zu konferieren.
Zumindest die sahrauische Seite setzt große Hoffnungen in diese UNO-Aktivitäten. Für eine neue Friedfertigkeit des marokkanischen Regenten gibt es aus Sicht der Polisario aber nur ein Indiz: Am 4. und 5. Januar 1989 wurde eine Delegation der Polisario von Hassan II. höchstpersönlich im marokkanischen Marrakesch empfangen. Monat für Monat werden seither neue Audienzen angesetzt. Polisario-Kämpfer verzichten auf größere Attacken gegen die marokkanischen Verteidigungswälle. Im Februar hatte die Polisario gar einen einseitigen Waffenstillstand erklärt. Und Ende letzter Woche wollte sie „als Geste des guten Willens“ - 200 marokkanische Kriegsgefangene nach Marokko zurückkehren lassen. Hassan II. lehnte diese „Geste“ und den Gefangenenaustausch brüsk ab. Auch sonst läßt er die Polisario-Strategen kalt auflaufen. Seit Januar bringt er Monat für Monat die anberaumten Gesprächstermine kurzfristig zum Platzen.
Mit Unterstützung konnte die Polisario bisher in Algerien rechnen. Es war Algerien, das den sahrauischen Flüchtlingen 1975/76 Schutz auf seinem Terrain bot vor den Napalm- und Phosphorbomben der marokkanischen Luftwaffe. Und es ist Algerien, das bis heute über 90 Prozent der Überlebenshilfe für die selbstverwalteten Flüchtlingslager aufbringt. Die algerische Hilfe war von Anfang an algerische Selbstverteidigung. Denn Marokko reklamierte außer der Westsahara, Mauretanien und Mali auch Teile Algeriens für sein expansionistisches „Groß-Marokko“. Erst mit der algerisch-marokkanischen Annäherung in der „Union des Arabischen Maghreb“ verzichtete Hassan II. im März 1989 auf seine Ansprüche in Südwest-Algerien. Die Arbeitskräfte und die Eisenbahnwaggons, die Südfrüchte und die Textilien, die die Maghreb-Staaten ab dem 1.1.93 nicht mehr in die EG exportieren können, wollen sie auf den gemeinsamen Maghreb -Markt bringen. Sachkommissionen sind bereits dabei, Transport-, Zoll- und Steuervorschriften zu harmonisieren. Und Algerien schmiedet Pläne, Erdgaspipelines über marokkanisches Gebiet nach Spanien und über tunesisches Terrain nach Italien zu verlegen.
Ob diese Kooperationen dazu führen, daß „Algerien die Polisario fallen läßt“, wie Skeptiker seit Monaten prophezeien, ist bisher noch eine unbewiesene These. Polisario-Vertreter betonen, daß ein entspanntes Klima zwischen Algerien und Marokko auch den sahrauischen Friedensverhandlungen nur gut tun könne. Die größten Optimisten unter ihnen gehen gar davon aus, daß eine Rückkehr in die Westsahara vielleicht schon Ende des Jahres möglich ist. In etlichen Köpfen nehmen bereits Pläne Gestalt an, wie die eigene Existenz nach der Rückkehr in die unabhängige Sahara aussehen könnte. Der eine träumt von einem florierenden Reisebüro, ein anderer ist dabei, den Preis eines Fischkutters an der Atlantikküste zu kalkulieren - dies alles unter der Voraussetzung, daß Hassan das Referendum tatsächlich gestattet, es verliert und die Abstimmungsniederlage dann auch akzeptiert. Folglich an Stelle seines „Bundeslandes“ eine unabhängige „Demokratische Arabische Republik Sahara“ duldet.
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