: Grüner Stadtteil Grolland - zur Nazi-Zeit besiedelt
■ Ein Stadtteil wird 800 Jahre alt: Wie aus matschigen Wiesen eine kleinbürgerliche Idylle wurde, von der die wenigsten BremerInnen wissen
Der Bremer Stadtteil „Grolland“ feierte am Wochenende fast ganz unter sich seine 800-Jahr-Feier. Trotz des stolzen Alters tut es immernoch bitter nötig, den meisten BremerInnen „aus der Stadt“ zu erläutern, wo im Grünen dieses schöne „Grolland“ denn eigench versteckist.n: Südlich der Neustadt und südlich von „Wertkauf“, direkt hinter den grünen Ochtumdeichen da ist „Grolland“, auf halbem Weg nach Huchting und in der Mitte brutal geteilt durch die ebenerdige Autostraße sowie die Betonpfeiler-Hochstraße nach Delmenhorst und Oldenburg und die Straßenbahnlinie 6.
Am Samstag um vier Uhr zu Kaffee und Kuchenbuffet trafen sich GolländerInnen von beiderseits der Hochstraße in der Schule, um sich in einer Talkshow gegenseitig aus ihrer Geschichte zu berichten. Und die fängt für die Versammelten nicht 1189 mit Bischof Hartwig II.'s Urkunde an, sondern zwischen 1935 und 1940.
Damals setzten die Nationalsozialisten in „Grolland“ das um, was schon zur Weimarer Zeit im „Gesetz über vorstädtische Kleinsiedlungen“ beabsichtigt war: Arbeitslosen kleine sparta
nische Siedlungen zu bauen mit viel Land drumrum, von denen diese sich samt Familie autark ernähren sollten. Die Häuschen hatten 60 qm Wohnfläche, waren aus rotem Backstein, hatten keine Giebel, sondern an allen vier Dachseiten rote Ziegel. Einer, der 1938/39 Maurer war und dann als Siedler mit seiner Verlobten in Grolland einzog: „Diese Häuser sind sehr solide und sehr gut gebaut. Das war für uns, die in der damaligen Zeit da einzogen, das war schon was.“ Für zu klein hatten Mann und Frau die Häuser erst später befunden, heute sind fast alle um-und ausgebaut, mit Balkons und Garagen versehen. Die Grundstückspreise steigen, und mittlerweile gibt es Kontroversen, ob einE SiederIn die Hälfte ihres Grund und Bodens privat verkaufen darf.
Zum Richtfest wehte zwischen 1935 und 1940 die Hakenkreuzflagge auf den Dachstühlen, die Baumeister waren selbstredend Nationalsozialisten. Die SiedlerInnen in Grolland mußten aber, im Gegensatz zu denen in Habenhausen, keine Parteimitglieder sein. Über den Nationalsozialismus erzählten die GrolländerInnen am Samstag in ihrer Talkshow dem Moderator Ottmar Hinz
wenig, höchstens, daß genau kontrolliert wurde, ob die Familien auch tatsächlich kinderreich waren beziehungsweise wurden. Und: „Alle Häuser wurden vom Siedlerverein überprüft, ob sie auch schön sauber waren.“ 7.000 Mark hatte damals eine Siedler
stelle inklusive Häuschen und tausend Quadratmeter Grundstück gekostet. 1.500 Mark davon mußten die SiedlerInnen selbst aufbringen.
Zur Neustadt gab es damals keine Verbindung, keine befestigte Straße, von einer Straßen
bahnhaltestelle ganz zu schweigen. Eine Siedlerin: „Das ganze Land war ja noch Wiese, mußte urbar gemacht werden. Alles war Matsch.“ Beim Wäscheaufhängen waren ihre Gummigaloschen im feuchten Lehmboden stecken geblieben. Die SiedlerInnen rac
kerten und schufteten, zogen Gräben, pflanzten Obstbäume und ernteten Kartoffeln. Siedlerin Meyer: „Wie dann der Kanal kam, das war das schönste.“ Sie sagt: „Ich hab bis heute hier schrecklich gern gewohnt.“ Da nicken im Saal viele mit den Köpfen.
Eine junge, zugezogene Frau, wagt allerdings einige kritische Töne ins Mikrophon des Stadtteil -Geschichtsforschers Hinz zu sagen. So frei wie damals, als es nur zwei Autos in Grolland gab und Handkarren und keine trennenden Hecken, so frei könnten ihre Kinder heute längst nicht mehr laufen. Der einzige Spielplatz liege an der befahrenen Grolländer Straße, sie habe deshalb mit anderen Eltern einen zweiten Spielplatz angelegt. Der aber müsse wegen der NachbarInnen am Samstag und am Sonntag abgeschlossen bleiben. „Ein Ball könnte ja eine Tulpe treffen“, pflichtet ihr mit ironischem Unterton ein einziger gebürtiger Grolländer bei. Die 90-jährige Talkshow -Teilnehmerin sagt zum Schluß noch mal, was fast alle denken: „Ich wohne hier sehr gerne. Meinetwegen kann's so bleiben.“
Barbara Debus
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