Barbarisch

■ Oberste Gericht der USA billigt Hinrichtungen von Jugendlichen und geistig Behinderten

John Paul Penry ist 32 Jahre alt. Doch bis heute kann er nur seinen Namen schreiben, seine geistige Reife ist die eines Siebenjährigen. John Paul Penry sitzt seit neun Jahren in Texas im Gefängnis und wartet auf seine Hinrichtung, denn im Oktober 1979 hatte er eine Frau überfallen, vergewaltigt und mit einer Schere erstochen. Fünf der neun Richter des Supreme Court der Vereinigten Staaten haben nichts dagegen einzuwenden, daß ein Mann wie Penry auf den elektrischen Stuhl geschnallt und mit einem Stromstoß aus der amerikanischen Gesellschaft entfernt wird. Ebensowenig anstößig erscheint es der Mehrheit der Gralshüter der amerikanischen Verfassung, Sechzehnjährige zu exekutieren. Dies stehe nicht im Widerspruch zu den ethischen Standards der Gesellschaft der Vereinigten Staaten, behauptet Richter Scalia. Der Chef-Drogenfahnder der Bush-Administration William Bennett sagt in einer Radio-Talkshow, daß er „kein moralisches Problem“ damit habe, Drogenhändlern den Kopf abzuschlagen. Es sei ausdrücklich wiederholt: die Rede ist von den USA, nicht von der Stalin-Ära der Sowjetunion oder dem Iran unter Khomeini.

Wenn es um den Strafvollzug geht, steckt die amerikanische Gesellschaft noch im Mittelalter. Die aufgeklärte bürgerliche Gesellschaft macht vor den Türen der Gerichte und Gefängnisse halt, Rache wird zur einzig gültigen Richtschnur. Angesichts des Urteils der Obersten Richter scheint es kein Mittel mehr zu geben, der Barbarei Einhalt zu gebieten, die die gegenwärtig 2.200 Todeskandidaten in den amerikanischen Gefängnissen bedroht. Doch den offiziellen Vertretern dieses Staates sollte bei jeder sich bietenden Gelegenheit klargemacht werden, daß im späten 20.Jahrhundert die Praxis der Todesstrafe die Vereinigten Staaten zum Außenseiter macht. Hinrichtungen von Jugendlichen und geistig Behinderten verhindern, daß die Rufe der US-Administration nach mehr Menschenrechten in anderen Ländern auch nur ein Mindestmaß an moralischer Glaubwürdigkeit aufweisen.

Stefan Schaaf