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Spontandemo oder Kundgebungsfortsetzung

■ Am 12.Juni 1987 wurden rund 500 Leute auf dem Tauentzien von der Polizei eingekesselt / Aufgrund einer Klage der Kessel-Opfer befindet das Verwaltungsgericht seit gestern darüber, ob der Polizeieinsatz rechtswidrig war / Prozeß ist auf mehrere Tage angesetzt

Vor der 1.Kammer des Verwaltungsgerichts begann gestern der Prozeß um einen Vorfall, der vor zwei Jahren nicht nur die Linken der Stadt in Wallung gebracht hatte: der Polizeikessel auf den Tauentzien Ecke Nürnberger Straße am 12.Juni 1987. In dem Kessel waren damals über 500 Menschen mehrere Stunden lang zum Teil in strömendem Regen festgehalten worden, weil sie an einer Spontandemo gegen den Besuch von US-Präsident Reagan teilgenommen hatten oder als Passanten zufällig in den Aufzug geraten waren.

Stellvertretend für die Mehrzahl der Eingekesselten hatten drei Frauen und drei Männer nach dem Vorfall vor dem Verwaltungsgericht eine Feststellungsklage erhoben, mit der nunmehr geklärt werden soll, ob der Polizeieinsatz rechtswidrig war. Die 1.Kammer des Verwaltungsgerichts muß jetzt in der auf mehrere Verhandlungstage angesetzten Beweisaufnahme klären, ob es sich bei dem Aufzug am 12.Juni gegen 15Uhr auf dem Kudamm wie von den Anwälten Ströbele und Siederer sowie der Anwältin Kunze behauptet, um eine Spontandemo handelte, und sie deshalb vom Versammlungsgesetz geschützt sei. Die Einkesselung sei zudem rechtswidrig und unverhältnismäßig gewesen, weil von der Menschenmenge zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr ausgangenen sei. Es habe noch nicht einmal Anzeichen für irgendwelche geplanten Gewaltanwendungen gegeben. Demgegenüber ist die Polizei, vertreten durch das Land Berlin, der Meinung, daß der Aufzug „die Fortsetzung“ einer verbotenen Kundgebung am Joachimsthaler Platz war. Die Einkesselung der Teilnehmer, so die Polizeiargumentation weiter, sei zur Gefahrenabwehr „geboten und rechtmäßig“ gewesen. Daß Gewaltanwendung geplant gewesen sei, belege die Tatsache, daß nach der Auflösung des Kessels Sturmhauben gefunden worden seien. Die Frage, ob von der Menge Gewalt ausging, oder eine solche konkret zu befürchten, suchten gestern die Prozeßbeteilten, insbesondere mit dem damaligen verantwortlichen Einsatzleiter, Wolfgang Schubert, und dem leitenden Polizeibeamten am „Brennpunkt“, Hartwig Gabelmann, zu klären. Schubert hatte von der Befehlszentrale am Hardenbergplatz die Anordung zur Einkesselung erteilt. Der Zeuge begründete dies damit, daß im Stadtgebiet diverse „Mollis“ und Krähenfüße gefunden worden seien, und daß sich aus Flugblättern ergeben habe, das nicht nur am 11. sondern auch am 12.Juni „Krawalle“ geplant gewesen seien. Die Einkesselung der Demonstration begründet Schubert ferner damit, daß ein „Sturm auf das KaDeWe“ zu befürchten gewesen sei. Auf Nachfrage, ob er denn unter den TeilnehmerInnen konkrete Anzeichen für Gewalt ausgemacht habe, berief sich der Zeuge auf Erkenntnisse seiner Aufklärungstrupps: Diese hätten berichtet, daß der Aufzug zu 60 Prozent aus Autonomen bestanden habe, und daß die als „gewälttätig bekannte Tech -Gruppe-Wedding“ im Zug gesichtet worden sei. Auf weitere Nachfrage erläuterte Schubert, daß die Autonomen an diesem Tag weitestgehend nicht in schwarzer Kluft, sondern gemäß einem Flugblattaufruf in „normaler bürgerlicher Kleidung“ erschienen seien. Sie seien aber trotzdem erkannt worden, weil ihre Gesichter als „Dauer-Demo-Teilnehmer“ größtenteils bekannt seien.

Auch dem „Brennpunkt-L.P.B.“ (Leitende Polizeibeamte vor Ort), Gabelmann, gab sich die größte Mühe, Beispiele für die Gewaltbereitschaft der Menge zu finden. Außer einer „brisanten Mischung“ und einem Maikäfer-Demonstranten -Verhalten - „man pumpt sich auf und rennt los, um besonders machtvoll zu wirken“ - fielen ihm aber nur noch zwei kleine Ereignisse noch vor Beginn der Spontandemo ein. So führte Gabelmann an, von hinten gegen das Knie getreten worden zu sein und einen Schlag auf den Kopf bekommen zu haben. Als „Anzeichen, das etwas geplant war“, wertete er des weiteren, daß zwei „normal-bürgerlich“ gekleidete Männer mit einem Tonbandgerät am Breitscheidplatz „Artilleriefeuergeräusche“ abgespielt hätten. Der Prozeß wird Freitag fortgesetzt.

plu

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