: Ein Warnschuß für Japans Regierung
Bei den Kommunalwahlen in Tokio verlor die landesweit herrschende Liberaldemokratische Partei ein Drittel ihrer Sitze / Skandal auf Skandal rüttelt an den Grundfesten einer 40jährigen konservativen Herrschaft ■ Von Simone Lenz
Berlin (wsp/ap/taz) - Jetzt hat es auch Ministerpräsident Sosuke Uno erwischt: Bei den Tokioter Kommunalwahlen am Sonntag, Gradmesser der politischen Stimmung im Lande, mußte er eine schwere Niederlage einstecken. Drei Wochen vor Teilwahlen zum japanischen Parlament verlor die skandalgeschüttelte Liberaldemokratische Partei 20 ihrer bisher 63 Sitze im Stadtparlament. Die Sozialisten, die bisher zwölf Abgeordnete stellten, gewannen 29 Mandate, von ihnen unterstützte unabhängige Kandidaten erhielten weitere sieben der insgesamt 128 Mandate.
In der Finanzhochburg Tokio gibt derzeit nicht die Ökonomie den Ton an; beherrschend sind die Affären der politischen Lebewelt. Die weltweit ausschlaggebenden Tokioter Börsenkurse steigen und fallen nicht nach den Gesetzen der wertfreien Sphäre freischwebender ökonomischer Subsysteme vielmehr geben Liebesleben und Bestechlichkeit der Regierungspolitiker den Ausschlag. Uno macht zwar die unter seinem Vorgänger Takeshita eingeführte Verbrauchersteuer von 3 Prozent für das Wahlergebnis verantwortlich, einer Umfrage zufolge wünschen jedoch nur 54 Prozent ihre Abschaffung. Die Liaison des Premiers mit einer Geisha beeinflußte dagegen 62 Prozent der Wähler, der Recruit-Skandal gar 67 Prozent.
Als wären mit dem Tod des alten Kaisers Hirohito auch die letzten gesellschaftlichen Tabus zu Grabe getragen worden, jagt seither ein Enthüllungsskandal den anderen. Im Frühjahr waren es die Verstrickungen der LDP-Führung in den Aktien -Skandal um die Firma Recruit, die Premier Takeshita schließlich zum Rücktritt zwangen. Sein Privatsekretär, der Bestechungsgelder des Recruit Cosmos Konzerns für seinen Dienstherrn und die Partei in Empfang genommen hatte, nahm sich noch ganz im Einklang mit dem japanischen Ehrenkodex tags darauf das Leben. Die Geisha Mitsuko Nakanishi dagegen hielt sich nicht ans Butterfly-Libretto und sang der Presse ein Lied von der Kaltherzigkeit des Herrn Uno. Ebenso wie von den Sekretären der LDP-Führung hätte man von einer mit mit einem Monatsfixum von 4.200 DM verpflichteten Geisha kein Sterbenswörtchen erwartet. Frau Mitsuko Nakanishi brach jedoch mit diesem Gebot ihres Berufsstandes und wandte sich an die Medien: „Ich möchte nicht, daß er ein ganzes Volk so verletzt, wie er mich verletzt hat. Als Ministerpräsident könnte er Japan ernsthaft schaden“, warnte sie die japanischen Wähler und fand Gehör.
Die japanischen Wählerinnen sollen mit ihrer ungewöhnlich hohen Wahlbeteiligung von 61 Prozent an der LDP-Schlappe ausschlaggebend beteiligt gewesen sein. Insgesamt lag die Wahlbeteiligung bei 58,7 Prozent und damit über fünf Prozent höher als bei der Kommunalwahl vor vier Jahren.
Am 23.Juli steht in Japan die Hälfte der Sitze im Oberhaus zur Wahl. Meinungsumfragen zufolge könnte die LDP dabei erstmals ihre Mehrheit einbüßen. Die oppositionelle Parlamentsabgeordnete Manae Kubota sieht gar die 40jährige konservative Herrschaft im männerdominierten Japan gefährdet. Nur sieben von 512 Sitzen im Abgeordnetenhaus seien von Frauen Fortsetzung auf Seite 2
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besetzt. Unos Kabinett besteht nur aus Männern, und auch alle 47 japanischen Gouverneure sind Männer. In den Magistraten der 655 großen Städte ist keine einzige Frau vertreten. Nur an der Spitze der sozialistischen Partei stehe eine Frau. Immerhin: Im Haus der Räte mit seinen 252 Sitzen sei nach dem Sieg der sozialistischen Kandidatin Kinuko Ofuchi bei der Stichwahl um den freigewordenen Oberhaussitz der Präfektur Niigita vor einer Woche die Zahl der Frauen auf 23 gestiegen.
Frau Kubota hatte am 9.Juni erstmals das Thema außerehelicher Affären japanischer Politiker vors Parlament gebracht. Die Kommunalwahlen wurden von der japanischen Presse als Auftakt einer neuen Frau
enära ganz auf Linie der „Madonnen-Strategie“ der sozialistischen Partei gewertet.
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