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Alles andere ist Handgemenge

■ Wenn Männer über Mädchen reden: Ein Gespräch mit Sam Fuller, am Rande des diesjährigen Münchner Filmfests

Stefan Dornuf: Mr.Fuller, weshalb wurde in Ihrem Film aus dem weißen Polizeichef der Romanvorlage ein schwarzer und aus dem Manager des Sängers eine Managerin?

Sam Fuller: Wegen der Story. Das gibt ihr mehr Biß. Als Schwarzer sitzt der Captain noch tiefer in der Scheiße. Jeder wartet darauf, daß er auf die Schnauze fällt, und da kommen die Krawalle gerade richtig. Die USA sind ein rassistisches Land, yes Sir, ich weiß, wovon ich spreche. Er muß doppelt aufpassen, damit seine eigenen Leute ihm nicht nachsagen, er küsse den Weißen ihren Arsch. Außerdem bringt der Captain jedem das Fürchten bei, wenn er nur den Raum betritt. Der einzige, den ich kannte, auf den diese Beschreibung zutrifft, ist Bill Duke - Schauspieler in Serien wie Starsky & Hutch und Regisseur von The Killing Floor, dem ersten Film über die Jahrhundertwende -Streiks auf den Tabakfeldern. Er war früher bei den „Harlem Globetrotter“. Je von denen gehört?

Ja.

Das nenne ich eine gute Nachricht. Die meisten kennen sie nicht mal vom Namen her. Was nun die Rolle von Andrea Ferreol angeht: In Hollywood weiß ich von zwei oder drei Agentinnen, die für ihre Klienten alles tun - und ich meine alles. Trotzdem, zuerst kommt das Geschäft. Vertrag ist Vertrag. Außerdem ist Andrea wirklich gut.

Stammen die Änderungen von Ihnen oder von Jacques Bral, dem Skriptautor?

Ich filme nichts, was ich nicht selber geschrieben habe. Jacques schreibt und produziert, aber er ist kein professioneller Drehbuchautor. Da ist nichts Schlimmes dabei. Ich schreibe und habe auch mal produziert, aber ich bin deshalb noch kein Produzent. Ein paar Sachen haben mir nicht geschmeckt, die sind rausgeflogen.

Stimmt es, daß Sie bis vor kurzem David Goodis‘ Roman noch nicht vollständig gelesen hatten?

Das habe ich bis heute nicht! Ich gehe davon aus, daß Jacques während seiner langen Beschäftigung mit Davids Buch wirklich die Sahne rausgeholt hat. Ein Mann schläft mit der falschen Frau, verliert seine Stimme und wird zum Penner: das gefällt mir. Aber dann, diese Geschichte mit dem Aufruhr und den Puertorikanern... Alles, was ich von denen weiß, ist aus der West Side Story! Ich ahnte nicht mal, daß es jene gottverfluchten Schlachten bei ihnen gegeben hat. Und was heißt überhaupt „Schlacht“? Waterloo, das nenne ich eine Schlacht! Alles andere ist bloß Handgemenge. Nicht daß ich das runterspielen will, aber die Weltgeschichte selbst läßt es fallen, es verschwindet in der Gosse.

Doch zurück zum Drehbuch. Am Anfang also unterhielten sich die drei Penner über die Rassenunruhen. Mir gefielen Jacques‘ Dialoge, aber fürs Kino soll ich sowas filmen: Gerede? Am einfachsten für einen Autor - ich nehme an, Sie sind einer - ist es, eine Szene zu schreiben. Noch einfacher, sie so zu verändern, daß man sie sieht. Aber höllisch schwer ist es, die Schlacht von Waterloo zu filmen, ohne sie zu zeigen. Ich rede jetzt von Geld, viel Geld. Denn darum geht's beim Filmemachen: wo man das herkriegt. Deshalb muß es im Vordergrund eine so intensive Story geben - ich meine nicht Sex, sondern Leidenschaft, Gefühle -, daß sie einen umhaut. Das ist alles schon dagewesen, man muß nur seine verdammte Phantasie benutzen.

Ein Beispiel. Ein Mann liebt eine Frau, heiratet sie, aber mißtraut ihr, weil sie im Bett dauernd an jemand anderen denkt. Schließlich verläßt er sie, sie liebt ihn inzwischen wirklich, aber er glaubt ihr nicht. Was soll aus mir nur werden, klagt sie. Und er sagt: „Frankly, my dear, I don't give a damn.“ („Offen gestanden, meine Liebe, interessiert mich das einen Dreck.“) Das ist Vom Winde verweht. Ein Satz - es könnte jeder Krieg sein oder gar keiner. Das hätten sie für 50 Dollar drehen können. Und was dem Ganzen die Würze gibt: Das hat keiner von den knallharten Burschen geschrieben, kein Faulkner, Hemingway oder Jimmy Cain nein, eine Frau.

Mir scheint, daß ein paar Ihrer nicht zustandegekommenen Projekte in Straße ohne Wiederkehr eingeflossen sind, z.B. Bagman, über Penner in Paris, oder Mazeppa, die Lady-Godiva -Nummer.

Das sind tatsächlich zwei meiner Lieblingsprojekte. Bagman schreibe ich momentan als Buch, in großen Abständen. Es hat sich zu einer politisch brisanten Story entwickelt, an der ich noch viel arbeiten muß. Mazeppa war ein Kosak polnischer Abstammung, den die Leute des Zaren nackt auf ein Pferd banden und hinaus in den Schnee trieben. Er überlebte und kam als mächtigerer Mann zurück, um die Russen zu bekämpfen. Lord Byron hat ihn in einem Gedicht verewigt. Was ich machen wollte, war die authentische Geschichte einer Schauspielerin, Adah Menken, die als Mazeppa im Zirkus auftrat. So wie bisher immer nur Mädchen Peter Pan dargestellt haben! Ich habe in Interviews von Mazeppa gesprochen und nicht von der Frau, die halb Paris, New York und die Südstaaten aus dem Häuschen brachte einfach damit mir das Projekt keiner klaut. Ich besitze eine Photographie, wo sie auf dem Schoß des alten Dumas sitzt.

Wie Cecilia in Goodis‘ Roman suchte sie die große Liebe ihres Lebens und fand sie zuletzt.

Ja, nur daß es in ihrem Fall sie selber war.

Die Schweißflecken, die man auf den Körpern des Pärchens nach dem Boots-Rendezvous sieht, sind typisch Fuller.

Das ist doch nur natürlich. Ich freue mich, daß Sie das bemerkt haben. Wir haben es aufgesprayt. Eine Routinemaßnahme.

Wessen Idee war die Kastration des Bösewichts?

Meine. Das ist doch klar: Wenn ich mit jemandem quitt werden will, der meine Stimme verändert hat, ist es das beste, wenn ich seine verändere. Eine Etage tiefer eben. Im Buch ist das natürlich anders, aber mein Mädchen ist auch völlig anders als bei Goodis. Seins ist sehr nett, schwach, sie lebt mit diesem Mann zusammen, hat dann eine Affäre, verliebt sich usw. Meine ist ein Miststück, sie plant genau. „Wenn du mir einen Drink spendierst, bist du dabei“ - diese Zeile habe ich ihr absichtlich untergeschoben. Sie ist eine kalte Kartoffel, aber als der Knabe umgebracht werden soll, wird sie hysterisch, kreischt herum. Aber jetzt frage ich Sie mal was, Sie intelligenter junger Mann: Wieso wird er zum Penner?

Sein Herz...

Nein, nein, das kaufe ich nicht ab. Ich war zu lange bei der Zeitung, ich benötige Fakten. Und die habe ich auf den anderthalb Seiten von David nicht gefunden. Da steht nur, daß er zu trinken anfängt, sein Geld verspielt et cetera. Blinde Kriegsveteranen werden vielleicht Penner, aber ein Mann mit einigen Hunderttausend auf der Bank? Es muß mehr dahinterstecken. Ich habe Artikel geschrieben über Penner. Jeder hat eine andere Geschichte zu bieten. Bei manchen war es die Gesundheit, Krebs, Tumor, das ganze Zeug. Damit gekoppelt ist Armut. Die haben eine Heidenangst vor der Wohlfahrt. Ich traf nie einen Penner, der so geworden ist wegen einer Frau. Wenn so einer sagt: Ich liebe dich, ich werde für dich sterben - sterben, meine Fresse! Am nächsten Tag hat er eine andere. Oder wenn die Frau sagt: Wenn du mich verläßt, bringe ich mich um. Statt dessen ruft sie dich an sagt: Steven, laß uns heute abend gemeinsam essen gehen. Das ist es, was passiert, sonst nichts.

Stimmt.

Stimmt?! Wenn die Frau sich umbringt, ist das poetische Gerechtigkeit, Shakespeare, Dichtung. Ich kenne Dein Privatleben nicht, möchte aber nicht wissen, was passieren muß, bevor Du Dich umbringst. (Parodiert in weinerlichen Tönen einen gebrochenen Mann) „Das kannst du doch mit mir nicht machen! Du hast mich abgeräumt, hast meine Kohle, meine Braut, mein Ein und Alles genommen.“ Ach was! Du rufst irgendeinen Typen an: „Wie wär's mit schnellen 1.500, damit ich nach St.Louis fahren kann, dort winkt ein Job.“ So läuft das.

Das Gespräch führte Stefan Dornuf

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