: Geheime Kommandosache Chemiewaffenabzug
Das Verteidigungsministerium arbeitet zusammen mit den US-Streitkräften an verschiedenen Szenarien über den Abzug der amerikanischen Chemiewaffen aus der Pfalz / Ob Land-, See- oder Luftweg ist noch offen / Experten sehen erhebliche Transportrisiken ■ Aus Bonn Charlotte Wiedemann
Szenario Nummer eins: Kurz vor der Bundestagswahl 1990 werden in der Pfalz 30 Munitionszüge mit chemischen Kampfstoffen Richtung Bremerhaven in Bewegung gesetzt. Die Züge, beladen mit rund 6.000 Tonnen Bomben und Granaten, bestückt mit etwa 435 Tonnen reinem Nervengas, werden von amerikanischen Wachmannschaften weiträumig gesichert. Der übrige Bahnverkehr kommt zum Erliegen, unter der Bevölkerung bricht Unruhe aus, Notstandsverordnungen müssen in Kraft gesetzt werden. Bewertung: untauglich.
Szenario Nummer zwei: Bei Nacht und Nebel - der genaue Zeitpunkt ist nur einem Krisenstab bekannt - starten großräumige Militärmaschinen zum Non-Stop-Flug in die USA. Der Big Lift über den Atlantik erfordert 800 Flugbewegungen, die auf einen Zeitraum von mehreren Monaten verteilt werden. Die Öffentlichkeit erfährt von der Aktion erst, als Kanzler Kohl auf einer Pressekonferenz in Bonn den vollzogenen Abrüstungsschritt bekannt gibt. Bewertung: tauglich.
So etwa werden die Überlegungen aussehen, die seit Monaten in einer interministeriellen Arbeitsgruppe der Bundesregierung angestellt werden. Die Kommission bereitet in enger Zusammenarbeit mit deutschen Behörden und mit den US-Streitkräften den Abzug der chemischen US-Waffen aus der BRD vor - und mehr als diese allgemeine Aufgabenstellung soll der Öffentlichkeit auch nicht bekannt werden. Die Kommission umgibt sich mit strenger Geheimhaltung.
Zunächst der Zeitpunkt: Bis spätestens zum Jahresende 1992, so hatten es Kohl und Reagan vor drei Jahren angeblich vereinbart, sollen die Kampfstoffe den Boden der Republik verlassen haben. Eine derartige Vereinbarung konnte zwar schriftlich nie vorgelegt werden, doch nachdem US -Außenminister Baker im März ankündigte, der vorzeitige Abzug der Bestände werde in der amerikanischen Administration „geprüft“, will die Kohl-Regierung glauben machen, der Abtransport könne bereits bis Ende 1990 erfolgen - zur Bundestagswahl also. Sehr glaubhaft ist das nicht, denn die von Baker genannten Voraussetzungen - ausreichend sichere Lager- und Zerstörungskapazitäten in den USA - sind bisher nicht erfüllt. Für die in den USA selbst gelagerten weitaus größeren Altbestände wurde wegen dieser technischen Probleme mittlerweile der Zeitraum für die Vernichtung bis 1997 gestreckt. Trotzdem versichert die Hardthöhe jetzt, es gebe „realistische Chancen“ für einen vorzeitigen Abzug.
Dann der heikle Abtransport selbst: Auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen antwortete das Verteidigungsministerium jetzt, die Planungen seien „noch nicht abgeschlossen“. Hardthöhen-Referent Fischer bestreitet, daß bisher eine Grundsatzentscheidung - per Bahn und Schiff oder per Flugzeug - gefällt worden sei. In der Komission würden nur „Optionen“ erwogen. Ein gegenteiliges Signal kam vor einigen Wochen aus dem Kanzleramt: Alles paletti, die Planungen unter Dach und Fach, so lautete da der Tenor.
Was immer man glauben will: Dr. Dieter Meissner, C-Waffen -Experte der Naturwissenschaftler-Initiative „Verantwortung für den Frieden“, befürchtet, daß wegen des Primats der Geheimhaltung der Abtransport auf dem Luftweg erfolgen wird. Meissner: „Das wäre die unauffälligste Möglichkeit, aber auch bei weitem die gefährlichste.“ Überhaupt „keine Gefahr“, egal wie, hält die Hardthöhe dagegen. Ein Regierungsgutachten in den USA kommt zwar zu dem Schluß, daß die Kampfstoffe dort bei den acht Lagern vor Ort vernichtet werden müssen, weil der Transport zu einer zentralen Anlage viel zu riskant wäre. Rückschlüsse daraus seien aber für die Bundesrepublik „nicht zutreffend“, argumentiert die Hardthöhe, weil es sich hier nur um einsatzfähige und darum „sichere“ Munition handele. Verschwiegen wird: Die Lagerung der hiesigen Munition ist zwar auch nach Ansicht von rüstungskritischen Experten sicherer als die der durchgerosteten Großbehälter in den USA. Für den Transport von Bomben und Granaten gilt nach Ansicht des Chemikers Dr. Meissner jedoch das Gegenteil: „Bei einem Unfall mit abgefüllter Munition, wo die Sprengpatrone nicht vorher entfernt wurde, würden sich die tödlichen Kampfstoffe sofort weiträumig verbreiten.“
Die Behauptungen der Regierung soll jedenfalls niemand überprüfen dürfen. Dem rheinland-pfälzischen Minister Brüderle wurde der Zutritt zum vermuteten Giftgaslager Fischbach von den Amerikanern verwehrt. Den grünen Bundestagsabgeordneten Mechtersheimer und Beer wird es nicht anders gehen. Vergebens baten sie jetzt in einem Brief an Minister Stoltenberg um Hilfe für eine Fischbach-Visite, bei der sie der C-Waffen-Experte Professor Dosch von der Mainzer Universität begleiten sollte. Hardthöhen-Sprecher Fischer: „Wir können da doch keinen Tourismus entfalten. Da kann doch nicht jeder hinpilgern.“
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