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Die antifaschistische Mehrheit

Die Linke reiht sich ein in den Allparteienkampf gegen die „Republikaner“  ■ K OM M E N T A R

Jetzt, zum Landesparteitag der „Republikaner“ in Berlin ist wieder der Kampf gegen die Gefahr von rechts angesagt. Das antifaschistische Unterschriftenkartell mobilisiert. Tagesbefehl: „Wehret den Anfängen“. Die 'Stern'-Reporterin ist rechtzeitig aus dem Inneren des Feindes aufgetaucht. Doch wem nützt der Dauerwarnton vor derGefahr von rechts? Wie gefährlich ist eigentlich die rechte Gefahr? Seit der Berliner Wahl neigen Demokraten dazu, bei allen wichtigen politischen Fragen, vom Wohnungsbau bis zum kommunalen Wahlrecht für Ausländer, den Konsens über die „Republikaner“ zu suchen. Gewiß, die rechte Gefahr war immer ein Schlagwort der Linken, aber jetzt schlägt damit, von den Medien bis zu den Regierungspolitikern, fast alles, was nicht „Republikaner“ ist, um sich. Ein Volk von Verfassungsschützern bilanziert die Stärke des rechten Lagers. Schönhuber liefern die Medien als neuen Führer frei haus, und die Skinheads werden auf ihre Befähigung zur neuen SA hin analysiert.

Als kollektive Kassandra für die Gefahr von rechts zeigen wir natürlich, daß wir die Lehren von 1933 begriffen haben. Der eifernde Überschuß hinterläßt jedoch einen Nachgeschmack. Es kommen Zweifel auf, ob der Kampf gegen die rechte Gefahr sich auf ein Begreifen der Geschichte des Nationalsozialismus berufen kann, ob die Lehren aus der Geschichte etwas mit der Geschichte und nicht viel mehr mit dem Bedürfnis nach bequemen Feindbildern und ebenso bequemen politischen Legitimationen zu tun hat.

Die „Antifas“, die sich gegen die Rechte im Stadtteil bewaffnen, haben oft genug mit Demokratie wenig im Sinn und erschrecken keineswegs vor der Vorstellung von Selbstjustiz. Und bedenklich ist es, wie unbedenklich die Linke eher auf staatliche Verbotsandrohungen als aufs Argumentieren vertraut. Fehlt nicht viel, daß es von links her heißt, keine Freiheit für die Feinde der Freiheit. Ich gestehe, daß es mir angesichts der breiten antifaschistischen Mehrheit in der Bundesrepublik, einer Mehrheit, die von Autonomen, den neuen Bewegungen, über die Grünen, bis hin zu den sozialdemokratischen Teilen des Verfassungsschutzes reicht, eher unheimlich wird - nicht nur wegen der verdammten Selbstgerechtigkeit. Unheimlich finde ich auch die Sucht, mit den „Republikanern“ von heute die nationalsozialistische Bewegung von damals zu schlagen, und die Weimarer Republik nachträglich zu retten. Was stimmt denn an dem Konzept von der rechten Gefahr? Die Gründe für den Erfolg der Rechten kursieren längst schon wie abgegriffene Münzen: Zerfall der Volksparteien, der CDU vor allem; soziale Ursachen, Wohnungsnot vornehmlich; mangelnder Populismus der Volksparteien. Da ist vieles richtig, war aber auch schon vor dem Erfolg der Rechten richtig. Die These von der Protestwahl: Sicher, nicht soziale Not geht bei den Rechten zum Protest, sondern das typisch deutsche, ressentimentgeladene Zu-kurz-gekommen-Sein jener, die (fast) alles haben, die larmoyante deutsche Mehrheit als Minderheit, die Minderheit der Einheimischen, die die Quellen ihrer Unzufriedenheit und Zukunftsangst „außen“, im Ausländer beispielsweise, sucht.

Das politische Problem liegt weniger im Zulauf der „Modernisierungsverlierer“ zu den rechten Parteien selbst, sondern darin, daß weder die Grünen noch die Sozialdemokraten einen Zugang zu dieser Bevölkerungsschicht besitzen, noch besitzen wollen. Ist schon die Tatsache, daß die Rechten jetzt den Sprung ins Parlament schaffen, die Gefahr? Ist es nicht so, daß nun erst deutlich wird, daß sie außer Ressentiments und gehässigem Wühlen in Ungleichzeitigkeiten nichts anzubieten haben? Das Fatale am gegenwärtigen Kampf gegen rechts ist vielmehr, daß der rechte Propagandaton fast nahtlos mit dem „Antifa„-Kampf der Linken übereinstimmt. Der einzig wirksame Erfolgston der Rechten ist der des Aufbegehrens einer unterdrückten einheimischen Minderheit gegen die multikulturelle Mehrheit, der des Endlich-aussprechens-was-alle-denken. Fugenlos paßt sich da eine Politik ein, die zum Allparteienkampf gegen rechts aufruft. Erst die Linke macht aus der Ausländerfeindschaft jenen automatischen Zusammenhang mit dem Rechtsradikalismus, den die „Republikaner“ oder die NPD beschwören. Die Linke predigt die multikulturelle Gesellschaft als Staatsziel und mißachtet, daß in einer Gesellschaft, in der sich die Kulturen mischen, auch Wut und Agression wachsen. Im Grunde setzt sie sich nicht mit der Ausländerfeindschaft wirklich auseinander, sondern beschränkt sich auf die Denunziation der Ausländerfeinde. Daß der Kampf gegen rechts keineswegs nur ein Thema der linken Bewegung, sondern auch - spätestens seit der rot -grünen Koalition in Berlin und Frankfurt - Teil einer staatlichen Politik ist, wird noch einmal das Minderheitsressentiment der Mehrheit bestärken. Gerade wer in der Vorstellung der multikulturellen Gesellschaft einen noch zu entwickelnden utopischen Ansatz sieht, dem muß es unwohl sein, wenn die multikulturelle Gesellschaft zum Kampfbegriff gegen rechts funktionalisiert wird. Aber genau unter diesem Motto stand der grüne Parteitag vom 20.Mai ein exemplarischer Beleg für diese Bedenken. Cohn-Bendit hat zwar in einer umjubelten Rede davor gewarnt, mit einem Konzept vom guten Ausländer und bösen Deutschen zu arbeiten. Aber seine Warnung wurde nichtsdestoweniger überhört. Bei der Utopie der multikulturellen Gesellschaft und ihren Schwierigkeiten, bei der Frage, welche Widersprüche die vielen Kulturen wohl hervortreiben könnten, hielt sich kaum jemand auf. Statt dessen wurde ein staatliches Verordnungsprogramm verabschiedet: die multikulturelle Gesellschaft als „Glück von oben“.

Nur zu konsequent, daß innerhalb der Linken, von den Gewerkschaften bis hin zu den Linksradikalen der Verbotsgedanke ventiliert wird. Da könnte sich die Linke überraschend bald mit den CDU-Wahlkampfstrategen treffen, die ja vor der Alternative stehen, entweder die „Republikaner“ kaolitionsfähig zu machen oder sie zu verbieten. Aber der Kampf für die multikulturelle Gesellschaft mit dem Ziel oder der Hoffnung, die „Republikaner“ wieder unter die Fünf-Prozent-Linie zu treiben, ist schon im Ansatz verfehlt. Nicht nur, weil politische Ziele aus sich selbst heraus begründet werden müssen. Es ist keine kulturelle Vermischung denkbar, ohne daß sich die Feinde der Vermischung organisieren. Es ist kein europäisches Haus denkbar, ohne daß sich einige in den nationalen Zimmern verbarrikadieren. Auch wenn die alten Nazis zu den „Republikanern“ strömen, sind sie doch keine Nachgeburt des Nationalsozialismus, sondern ein Phänomen der Moderne, der Ungleichzeitigkeiten der Moderne, der Antizipation. In ihnen regiert der Nationalismus der Zukunftsangst und nicht der Vergangenheitsbeschwörung. Hier sammeln sich die Vorwärtsverteidiger eines historisch einzigartigen Wohlstandes der Massen; hier werden künftige Verteilungskämpfe antizipiert. Welche Antworten hat die Linke parat? Verdängt sie nicht ihre eigene Zukunftsangst im Kampf gegen die rechte Gefahr?

Überhaupt, gibt es nicht ein mächtiges Bedürfnis der Linken nach rechter Gefahr? In den letzten Jahrzehnten hat die bundesdeutsche Linke kaum noch eine Einigkeit in gemeinsamen Zielen gesucht, sondern beschränkte sich immer mehr darauf, in Abwehrkämpfen einig zu sein. Das drückt einerseits den unaufhaltsamen Zerfallsprozeß aller sozialistischen und kommunistischen Zukunftsentwürfe auf. Darin steckt aber auch eine ganz bestimmte Logik: Die Gefahr, die den allgemeinen Abwehrkampf rechtfertigt und der Linken das historische Recht gibt, die Besseren zu sein, muß entsprechend groß sein. Im deutschen Herbst galt die Gefahr der Linken selbst, ausgelöst durch die Lawine in Zeitlupe, durch die staatliche Repression, die alles zerschmetternd die Opposition endgültig vernichten will. Dann kamen die apokalyptischen Szenerien der Umweltkatastrophen, in denen die Linken für das Überleben der Gattung selbst kämpften. Die Apokalypsen, oder zumindest ihre einheitsstiftenden Wirkungen, sind verblaßt, weil sich andere Parteien derselben Sachen angenommen haben. Ähnliches gilt für die Friedensbewegung. Sie ist praktisch durch Gorbatschow erledigt worden. Nun haben wir den Kampf gegen die rechte Gefahr, die nicht groß genug sein kann, damit wir alle wieder einig sind. Und die Rechten können nicht faschistisch genug sein, damit die Linken wieder das sind, was sie einmal waren, die besseren Menschen. Aber brauchen wir diese besseren Menschen, brauchen wir die geeinte Linke auf den Zinnen antifaschistischer Schutzwälle, brauchen wir nicht vielmehr eine kraftvolle linke Öffentlichkeit?

Das Problem kann nicht scharf genug gesehen werden: Dieser deklamatorische Kampf gegen die rechte Gefahr nimmt zwar die innenpolitischen Feinderklärungen zwischen Gewinnern und Verlierern der Zukunft vorweg. Aber dieser Kampf ist mindestens so unbewußt oder konzeptlos wie der offene Haß seiner Gegner. Der Erfolg der „Republikaner“ lebt von Symptomen, ist selbst Symptom. Diskriminierung von Symptomen ist Politik-Ersatz. Wenn wir wirklich aus dem Schlagwort einer multikulturellen Gesellschaft ein politisches Konzept entwickeln wollen, dann dürfen die Kulturen der Ungleichgzeitigkeit nicht von vorneherein ausgeschieden werden.

Bis jetzt hat die mobilisierte „Antifa„-Mehrheit den „Republikanern“ nur genützt. Die Linke in ihrem historischen Abwehrkampf wird sich schwer tun, jene einfache gegenwärtige Wahrheit zu akzeptieren: In Schwierigkeiten kamen die „Republikaner“ allein durch den Parlamentarismus selbst, dadurch, daß man sie als Gegner politisch ernst nahm, statt sie als Feinde zu bekämpfen.

Klaus Hartung

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