: Prima Leben unterm Stiefel
Montagsexperten kommen zu Wort. Heute: Enno Bohlmann ■ Ü B E R L E B E N S B Ö R S E ‘ 8 9
„Der Kultur auf der Spur“ - so lautet die Sommerlosung von Kaiser's. Die Kultur findet allerdings nicht im Supermarkt statt, sondern auf der Europameile oder alternativ im Martin -Gropius-Bau, wo zur Zeit „Europa und der Orient“ ausgestellt wird, was sich wiederum verschiedenen Sponsoren verdankt: Air France, Lufthansa, Grand Hotel Esplanade und eben Kaiser's. Im Faltblatt zur Ausstellung darf der Supermarkt folgerichtig Werbung machen: „Denn Kaiser's geht weiter, um die Berliner zu erreichen. Nicht nur was Qualität, Frische und Preis betrifft - auch geistige Nahrung muß kultiviert werden.“ Immerhin vereinfacht sich der Kulturbetrieb durch Kaiser's Kultursuche dahingehend, daß das interessierte Publikum weiß: „Nur wo Kaiser's draufsteht, ist auch Kultur drin.“ Und das erspart lange (100 Prozent) und fein- und blödsinnige (98 Prozent) Feuilletonergüsse zur Großausstellungen.
Mit der Kultivierung der geistigen Nahrung verhält es sich
-scheint's - so wie mit der von Supermärkten. Die Regale müssen derart überquellen mit Waren, daß es einem schwindelt und man nur noch raus will. Diese kultivierte Angebotstheorie praktiziert jedenfalls die großkulturgroßhistorische Großausstellung im Martin Gropius -Bau: viel Angebot, viel Kundschaft (Reaganomics eben). Das schon erwähnte Faltblatt zur Ausstellung verfolgt konsequenterweise ausschließlich zwei Zwecke: protzen und aufschneiden: „Mehr als 200 europäische Leihgeber..., British Museum..., Musee du Louvre..., Tesoro di San Marco..., die Eremitage..., Museen aus Dänemark, Frankreich, Großbritannien..., 1.000 Ausstellungsstücke..., Schatzkammer mit europäischen und orientalischen Kostbarkeiten“, so plärrt es dem Publikum unmißverständlich respektheischend entgegen.
Die Monumentalausstellung selbst besteht aus „15 Kapiteln“
-richtig gelesen: Nicht Abteilungen etwa oder Themen gar, Kapitel (Stücker 15) müssen es sein, was hinwiederum seine ganz besondere Bewandtnis hat. Wie das Faltblatt nämlich ist die Mega-Ausstellung erstens protzig und zweitens aufschneiderisch. Oh, seht nur, was alles rangekarrt wurde und wie schwierig das erst zu beschaffen war, stillgestanden vor soviel Mengen an Objekten. Man bleibt auch bald stehen, faßt sich an den zugeballerten Kopf und flüchtet ins Freie. Und dort endlich fällt der Groschen bzw. die 38 Mark: Mit Katalog wär das nicht passiert. Ohne Katalog ist die Gigantomanie-Ausstellung gleich gar nicht zu verstehen (vorausgesetzt, es gäbe was zu verstehen), und das ist auch beabsichtigt. Die Großausstellung in 15 Kapiteln (eben) ist nichts weiter als ein Riesenhinweisschild auf den Katalog. Doch halt - der Katalog „Europa und der Orient“ ist kein vulgärer Katalog, sondern ein Katalogbuch, was einerseits herrlich dämlich ist (hat jemand schon mal was von einem Lexikonbuch oder Buchbuch gehört?), andererseits aber die topdreiste Prahlsucht genauestens widerspiegelt, um nicht zu sagen, auf den Punkt bringt.
Ohne das doppeltgemoppelte Katalogbuch ist „Europa und der Orient“ mithin fürn Arsch. Insofern ist es ein schweinemäßiges Glück, daß die Kulturjournaille auf Pressebesichtigungsterminen die Kataloge gratis in die Hand gedrückt bekommt - woher kämen sonst all die langen Artikel? Andererseits: bei längerem Nachdenken gefällt mir die Sache mit Kaiser's Kulturgütestempel immer besser.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen