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Vom Leben ganz unten

Ich wohne. Allerdings in einer Parterrewohnung. Und da sind der Leiden viele. Erdgeschoß wird mit Dunkelheit und Kälte assoziiert. Was stimmt - aber nicht alles ist. Lästiger ist, was von außen kommt. Gewöhnlicherweise verschwenden unsere Nachbarn nicht viele Blicke auf das heimelige Idyll. Andere Zeitgenossen sind da schon frecher: „Ich wollte nur mal sehen, wie Leute so leben“, gab mir ein blonder Jüngling einstens zur Antwort, als ich ihn recht unwirsch fragte, weshalb er mir so lange beim Patiencenlegen zuschaue. „Findest du das dreist?“ Jawohl, das finde ich dreist. Eine andere Spezies ist recht häufig anzutreffen. Sie stecken ihre Köpfe durch geöffnete Fenster oder klopfen solange an geschlossene Fenster, bis man ihnen Gehör schenkt. Ob man mal den dritten Aufgang aufmachen könne, begehrt der Störenfried. Nein, könne man nicht, lautet die unwirsche, aber wahrheitsgemäßte Antwort. Doch, könnt ihr, wird die genervte Bewohnerin belehrt, ihr habt doch einen Summer. Der Summer ist für den zweiten Aufgang, erklärt unsereins. Dem Fragesteller gibt das zu denken. Das nochmalige Nachhaken „ihr könnt also den dritten Aufgang nicht aufmachen“ hat ein rüdes „Nein“ und ein energisches Fensterzuschlagen zur Folge. Ein weiteres Ärgernis ist zwar nur saisonbedingt, aber ungleich lästiger. Manche mögen einen Biergarten direkt vor der Haustür für praktisch halten. Zu Hunderten fallen die Horden allabendlich ein, fürs Glotzen schämt sich keiner. So daß man nie weiß, wieviele Leute zur Kenntnis nehmen, daß man gerade heftig in der Nase bohrt. Kaum ein junger Gitarrero, der nicht seine Künste am unvoreingenommenen Kneipenpublikum erprobt. Und schrummelt, daß die Schwarte kracht. Während dieser Zeit ist es zwecklos, Radio zu hören oder fernzusehen. „Es reicht!“ mault man da schon ungehalten, aber was sind dürre Worte gegen den Zauber der Musik? So macht sich der Parterrebewohner klein und verstopft die Ohren, zückt das Buch Regentanz für Anfänger und nimmt sich vor, wieder mal eine Wohnungssuche auf sich zu nehmen. Aber dazu kommt es dann doch nicht. Es ist eben mein persönliches Pech, diese meine Wohnung trotz alledem zu mögen.

Maike E. Lück

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