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„So lernt man Kollegen kennen“

■ Kurz vor Feierabend ist der Sprengsatz schon „kein Thema“ mehr bei der Hertie-Belegschaft

Ein sommerlicher Spätnachmittag in einer von Berlins Konsummeilen, der Wilmersdorfer Straße. Es ist voll wie immer kurz vor Feierabend. Knallbunte Sommerkleidung, die jetzt schon billig zu haben ist, bestimmt das Bild. Nichts läßt darauf schließen, daß heute mittag zwischen zwölf und 15 Uhr im Kaufhaus Hertie das halbe Parterre von einer Hundertschaft Polizisten abgesperrt worden war.

Gegen zwölf Uhr war bekannt geworden, daß in der Lebensmittelabteilung angeblich eine Bombe deponiert gewesen sei, und die wurde dann tatsächlich im Weinregal unter Müller-Thurgau und Rheinpfälzer gefunden und entschärft. Die gesamte Lebensmittelabteilung und die angrenzenden Abteilungen wurden für gute drei Stunden für Personal und Kunden abgeriegelt. Im vorderen Teil der Etage ging der Verkauf normal weiter.

Auch am Ort des Geschehens ist die Stimmung ruhig, von den abendlichen Kunden weiß kaum einer, was heute mittag passiert ist. Fast einstimmig herrscht hier die Meinung, so etwas könne in einer Stadt wie Berlin alle Tage vorkommen wenn man alle solchen Drohungen ernst nehme, könne man sich ja gar nicht mehr auf die Straße trauen.

Ein wenig anders fällt die Einschätzung beim Wilmersdorfer Hertie-Personal aus, obwohl auch hier fast stoisch anmutender Gleichmut vorherrscht. Karl-Heinz Sch., seit 18 Jahren in der Spirituosen-Abteilung beschäftigt - unter einem seiner Weinregale war der Sprengsatz versteckt meint, er sei eh nicht mehr der Jüngste, gegen eine explodierende Bombe könne man sowieso nichts machen. Manche geben zu, sich zu dieser gelassenen Haltung zu zwingen. Eine Wurstverkäuferin und eine Kassiererin: „Ja, wir haben jetzt Angst, aber machen kann man gar nichts. Deswegen geht alles ganz normal weiter.“

Nach der Absperrung der Lebensmittelabteilung wurden die dort Beschäftigten von der Geschäftsleitung in die Kantine geschickt. Dort blieben sie auch bis alles wieder freigegeben wurden. In der Kosmetik-Abteilung wußte niemand, was im hinteren Teil vor sich ging, und das löste teilweise Unmut unter den VerkäuferInnen aus. Im nachhinein hätten sie einen Schreck bekommen, aber der sei jetzt überwunden.

Eine Verkäuferin für Kurzwaren die ebenfalls „evakuiert“ worden war, kann der „Bombe“ auch etwas Positives abgewinnen: „So lernt man wenigstens Kollegen einmal kennen und unterhält sich mit ihnen.“

Cordula Doerfler

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