: DDR-Ultimatum für Wagenburg
■ Bis 18.Juli sollen die Bewohner ihre Bauwagen vom DDR-Gebiet am Bethaniendamm entfernen / „Wir buddeln uns ein“ / Obdachlose wollen nicht weichen, bevor ihre Forderungen erfüllt sind / DDR-Gelände an der Mauer ist seit Ende April wegen Wohnungsnot besetzt
Der Wind fährt in die Plastikplanen, schmeißt eine Blumenvase um und wirbelt auf dem Todesstreifen hinter der Mauer gewaltige Staubwolken auf. In der Wagenburg am Bethaniendamm geht alles seinen sonntäglichen Gang. Auf dem Tisch unter dem großen Ahornbaum stehen Teller und Kaffetassen, ab und an klettert jemand aus seinem Bauwagen. An die 15 Menschen in neun Bauwagen und Wohnmobilen leben inzwischen ständig auf dem dreieckförmigen Landstück am Ende der Mariannenstraße, das, obwohl diesseits der Mauer gelegen, zum DDR-Gebiet gehört. Seit dem 30.April ist das Gelände aus Protest gegen die Wohnungsnot besetzt. Nun hat die DDR den BewohnerInnen ein Ultimatum gestellt: Bis zum 18.Juli müsse die Wagenburg vom DDR-Boden verschwunden sein, sonst, so O-Ton DDR-Grepos, werde man entsprechende Maßnahmen ergreifen. Die Räumungsaufforderung wurde den BesetzerInnen am 7.Juli von zwei hochrangigen Offizieren persönlich mitgeteilt: „Die sind durch ihr Türchen in der Mauer gekommen und haben an jeden Wohnwagen geklopft“, berichtet Rainer H., Sprecher der Obdachlosen-Initiative „Kiezdach“, die die Besetzung des Geländes initiiert hatte. „Kiezdach“, eine „Tochter von SO 36“, wie Rainer erklärt, fordert die Bereitstellung von Wohnungen und Häusern im Bezirk. Dabei geht es vor allem um das Haus Forster Straße 20, das die „Kiezdach„-Leute gerne beziehen möchten. Bis zu einer Entscheidung über das jetzt zum Abriß vorgesehene Haus wollen sie weiterhin in der Wagenburg am Ende der Mariannenstraße wohnen.
Mit den normalen Grenzschutztruppen hätten die Besetzer sich inzwischen schon fast befreundet, erzählt Rainer. „Die kommen eigentlich regelmäßig vorbei.“ Als „sozialpolitische Demonstration“ wolle die DDR die Wagenburg dulden, wurde bei einer solchen Begegnung mitgeteilt, es dürfe jedoch kein Campingplatz entstehen. Warum nun dennoch die Räumungsaufforderung kam, können die BesetzerInnen nur vermuten. „Das DDR-Außenministerium merkt doch nicht erst nach zweieinhalb Monaten, daß hier DDR-Gebiet besetzt ist“, heißt es. „Das ging bestimmt über Bonn“, wird gemutmaßt. Inzwischen haben die DDR-Behörden bereits Kontakt mit dem Innensenat und dem Kreuzberger Bezirksbürgermeister aufgenommen.
„Die DDR kann jetzt einfach eine Westberliner Firma mit dem Abschleppen beauftragen“, erklärt Rainer. „Und wenn wir nicht wollen, bitten sie die Westberliner Polizei um Amtshilfe.“ Räumen lassen wollen sich die Wagenburg-Leute jedoch auf keinen Fall. „Wir buddeln uns einfach ein.“ Heute wollen sie damit anfangen, die Räder ihrer rollenden Behausungen abzumontieren, um ein Abschleppen unmöglich zu machen. Außerdem wurde in der Wagenburg eine Volxküche eingerichtet, die täglich ab 17 Uhr geöffnet ist.
guth
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen