: Anti-Solidarität
■ Betr.: "Die Befreiungsbewegung als Folterknecht?", taz vom 8.7.89
betr.: „Die Befreiungsbewegung als Folterknecht?“, taz vom 8.7.89
Die taz bringt es in Gestalt von Knut Petersen fertig, einem altgedienten Kollaborateur Südafrikas in Namibia, Andreas Shipanga nämlich, „glaubwürdige Offenheit“ zu bescheinigen. Einmal mehr ist Petersens Anti-Swapo-Berichterstattung von prosüdafrikanischer Propaganda kaum noch zu unterscheiden. Derartige Anti-Solidarität gegenüber Namibia ist einfach schändlich. Und zwar auch und gerade angesichts der Schwächen und Defizite von Swapo, und ihrer nur mäßigen Chancen, als künftige Regierung dem (bereits gegen Mosambik und Angola erprobten) erpresserischen Zusammenwirken des Westens mit Südafrika tatsächlich standzuhalten.
Veronika Chiarito, Freiburg
1989 ist ein Jahr der schlechten Presse für Swapo: Daß seit dem 1. April 400 seiner Leute von SA-Soldaten massakriert werden, wird den Opfern und San Nujoma als eigene Schuld angelastet, während sich Pretoria vor internationalen Augen die Hände in Unschuld waschen darf. Im Juli wird die Negativzeichnung der Organisation durch breitangelegte Reportage über Ex-Swapo-Häftlinge vertieft.
1989 ist ein Jahr der guten Presse für die chinesische Demokratiebewegung: Wir lesen die Gedanken studentischer Führer über eigene taktische Fehler und wissen doch immer, daß die eigentliche Schuld bei Deng Xiaoping liegt. Wir sehen Bilder von verkohlten Soldaten und wischen sie weg, weil das Ausmaß der regierenden Grausamkeit so viel größer ist.
Was der Demokratiebewegung zugestanden wird, sollte Swapo nicht völlig vorenthalten werden: das Recht, daß Fehler und Verbrechen auf die Totalität der Umstände bezogen und von ihr gewertet werden. Knut Petersen, dessen Fähigkeit, Sachen mißzuverstehen, fast so groß ist wie sein Talent, fragwürdige Informanten aufzutun, hat in Windhoek Andreas Shipanga entdeckt. Shipanga, Kopf der Acht-Personen-Partei Swapo-Demokraten, Empfänger von BRD-Spenden und Minister in Pretorias Marionettenregierung, ist in Namibia als korrupter sell-out berüchtigt. Seine Integrität als Dissident hat sich schon lange so verflüchtigt, daß sein Beitrag zum in Namibia stattfindenden Dialog über DissidentInnen und Demokratie nicht relevant sein kann.
Michael Vespers kritisch-solidarischer (Gast-)Kommentar ist erfreulich. Aber warum verstümmeln die Setzer seinen Text? Warum schreiben sie: „Swapo (ist und war) in Namibia umstritten?“ (Diesen Fehler haben wir (ein-)gesehen und er wurde am 13.7. in einer Kurzmeldung richtiggestellt. d. Leserbriefredaktion)
Wer die Swapo - wie Knut Petersen - pauschal verwirft, richtet sich gegen den Befreiungsprozeß insgesamt. Bevor die BRD-Linke zu dem Urteil kommt, daß die Swapo ein Fehler ist, sollte sie noch ihr Restwohlwollen zusammenhalten und beobachten, wie und ob sie aus Fehlern lernt. Befreiungsprozesse sind nicht unschuldig, aber sie können Unschuld wieder herstellen.
H. Junge, Hamburg
Wir verurteilen die durch Zeugnis belegten willkürlichen Verhaftungen, Folterungen und Vergewaltigungen in den Swapo -Gefangenencamps in Angola. Diese Menschenrechtsverletzungen können unserer tiefsten Überzeugung nach nicht durch den Kriegsangriff des rassistischen Südafrika und seiner Handlanger legitimiert werden.
Viele der willkürlichen Verhaftungen und Grausamkeiten werden von der Swapo damit erklärt, daß die Verhafteten unter dem Verdacht standen, „Spione Südafrikas“ zu sein. Diese Argumentation und die große Zahl der angeblichen Spione zeigt u.M. nach, daß es nun nicht allein darum gehen kann, einzelne Verhörer, Folterer und Vergewaltiger in den Camps zur Rechenschaft zu ziehen. Letztlich ist politisch verantwortlich die Swapo-Führung. Sie ist nicht dagegen eingeschritten oder hat es zumindest gebilligt, daß ein Abweichen von der Parteilinie, parteikritische Positionen als Zusammenarbeit mit dem Feind Südafrika diskreditiert werden und in offensichtlich zahlreichen Fällen zu den schweren Menschenrechtsverletzungen führen konnten. Politisch Andersdenkende im Kampf gegen Kolonialismus und Ausbeutung oft vorschnell mit dem politischen Gegner Südafrika zu assoziieren ist leider eine nicht nur von der Swapo-Führung zumindest geduldete Politik. Wie die Auseinandersetzungen innerhalb der südafrikanischen Opposition in Südafrika wie im Exil zeigen, gibt es auch dort ähnliche Tendenzen.
Unsere Distanzierung und Verurteilung dieser Politik und der Praxis in den Camps ist keine Distanzierung vom Befreiungskampf der Völker des südlichen Afrika und ihrer anti-kolonialen und anti-rassistischen Organisationen.
Wir sind der festen Überzeugung, auch die Solidaritätsbewegung muß sich ihrer Verantwortung stellen. Es ist unzureichend und heuchlerisch, allein von der Swapo Konsequenzen zu fordern, wo es doch auch Praxis von Teilen der Solidaritätsbewegung, hauptsächlich der Anti-Apartheid -Bewegung sowie ProtagonistInnen des kirchlichen und grün -alternativen Spektrums, gewesen und es nach wie vor ist, diejenigen, die mit dem „falschen“ Parteibuch ausgestattet, d.h. nicht Mitglieder von Swapo oder ANC oder die nicht hundertprozentig „auf Linie“ sind, leichtfertig der Kollaboration mit den Rassisten zu bezichtigen, sie sogar rabiat an der physischen Teilnahme an Solidaritätskonferenzen und -aktionen zu hindern (z.B. CSA 1984, Hearing der Grünen im BT 1986, ECASAAMA-Konferenz 1988). Diffamierung ersetzt hier die politische Auseinandersetzung mit anderen Ansätzen des Kampfes gegen Rassismus und Ausbeutung. Dieses unverantwortliche Vorgehen stellt eine ideologische Legitimation der willkürlichen Grausamkeiten in den Lagern in Angola dar. Zuweilen werden diese Kollaborationsvorwürfe auch auf Teile der Solidaritätsbewegung ausgeweitet: Mitglieder der AKAFRIK beispielsweise, die wie der BUKO (Bundeskongreß entwicklungspolitischer Aktionsgruppen) u.a. den Alleinvertretungsanspruch einer Befreiungsbewegung bestreiten und sich für die Unterstützung des Widerstandes in seiner ganzen Vielfalt einsetzen, wurden in einigen Veröffentlichungen der Solidaritätsszene ('Issa‘, 'Arbeiterkampf‘) offen der Kollaboration mit den Rassisten bezichtigt, ohne jemals in diesen Publikationen das Recht auf Gegendarstellung eingeräumt zu bekommen.
Ob nun im aktuellen Fall der Swapo-DissidentInnen oder im Fall Winnie Mandela, wir halten es nicht für akzeptabel, daß die gleichen Leute, die jahrelang am Mythos der Unfehlbarkeit einzelner Personen oder Organisationen gearbeitet haben, seien es nun taz-Journalisten wie Hans Brandt oder Grüne Wahlbeobachter wie M.Vesper, den Anschein erwecken, als seien diese Taten allein interne Probleme einzelner Befreiungsorganisationen. H.Brandt, der fortschrittliche Journalist, war einer der eifrigsten, wenn es darum ging, Winnie Mandelas Statements abzudrucken, ohne sich je darum zu kümmern, ob sie beispielsweise von der UDF dazu mandatiert war und einer der ersten, der lapidar feststellte, daß diese Frau der großen Herausforderung wohl nicht gewachsen war. M.Vesper, Fraktionsgeschäftsführer der Grünen im BT, hat eigenhändig dafür gesorgt, daß Oppositionelle aus Namibia, die wie Swapo gegen Kolonialismus und Ausbeutung kämpfen, sich aber das Recht auf eine in Teilen von Swapo abweichende Meinung herausnehmen, an den Grünen Bundestagshearings nicht teilnehmen dürfen. In der taz vom 12.7.89 allerdings fällt es ihm nicht schwer, von der Swapo zu fordern: „Als politische Partei sollte die Swapo jetzt einen neuen Anfang machen: Interne Kritik und Offenheit nach innen und außen sind dringend notwendig.“
Wir als Solidaritätsbewegung müssen die Widersprüche in unserer eigenen Arbeit angehen und dürfen auch die Widersprüchlichkeiten des Befreiungsprozesses im südlichen Afrika nicht verdrängen oder „auf Linie“ bringen wollen. Dies ist für uns ein Bestandteil internationalistischer Solidarität, nicht das Nachbeten der Parolen von Befreiungsorganisationen. Der offene Umgang mit den Widersprüchen wird weder der Solidaritätsbewegung noch den Befreiungsorganisationen schaden, sondern stärken im Umgang mit rechter Propaganda im Stile der IGFM (Internationale Gesellschaft für Menschenrechte). Seit einigen Jahren schon kocht die IGFM in Frankfurt die Vorwürfe gegen die Swapo hoch, sie sind also nicht neu oder überraschend, wie mensch eventuell denken könnte. Statt die Vorwürfe ernsthaft zu prüfen und wenn möglich zu widerlegen, wozu beispielsweise Uschi Eid, Grüne MdB oder die Geschäftsführerin der AAB bei ihren Besuchen der Swapo-Lager Gelegenheit gehabt hätten, hat die Solidaritätsbewegung aber nur vermocht, auf den rechtsradikalen Hintergrund der IGFM, ihre Verbindungen zum Rassistenregime und anderen faschistischen Kreisen hinzuweisen. Es ist absolut notwendig, aber offensichtlich nicht ausreichend, Organisationen wie die IGFM politisch zu isolieren und deutlich zu machen, mit welchen Mitteln sie die Contra in Mittelamerika und im südlichen Afrika unterstützt. Wenn die IGFM und andere rechtsradikale Organisationen solche Kampagnen wie gegen die Zustände in den Swapo-Gefangenencamps starten können, dann auch, weil die Befreiungsbewegungen (nicht nur in Afrika) und die Solidaritätsbewegungen Fehler gemacht haben, die sie nicht eingestehen können und/oder wollen.
Wenn wir nicht so ohne weiteres zur Tagesordnung übergehen wollen, sollten wir solidarisch einen Prozeß des gemeinsamen Nachdenkens beginnen.
AKAFRIK Arbeitskreis Afrika und AZANIA Koordination, Münster
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