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Japans rosarote Protestwahl

■ Sozialistenchefin Takako Doi verdankt ihren Wahlsieg dem Protest der Japanerinnen gegen die Regierung

Das war der ewigregierenden Liberal-Demokratischen Partei noch nie passiert: eine richtige Wahlniederlage, und dazu noch eine so vernichtende. Mit den Teilwahlen vom Sonntag verlor sie nicht nur ihre absolute Mehrheit im (wenig einflußreichen) Oberhaus, sie wurde auch als stärkste Partei von den SozialistInnen abgelöst. Erste Konsequenz: Premierminister Uno trat gestern zurück.

Ein zweites Spießrutenlaufen wollte Sosuke Uno, 66, nicht mehr mitmachen. Im Wahlkampf hatte er sich in den letzten Wochen kaum noch sehen lassen können, weil er ständig von Demonstrantinnen verfolgt wurde, die ihm seine Affäre mit einer Geisha vorhielten. Und jetzt hätte ihm wohl noch einmal Schlimmeres bevorgestanden. Kaum waren am Sonntag abend die ersten Hochrechnungen über Japans Bildschirme geflimmert, die seiner Liberaldemokratischen Partei (LDP) die katastrophale Wahlniederlage ankündigten, da meldeten sich die ersten Parteibosse zu Wort und ließen keinen Zweifel daran, in wessen Schuhe sie den Verlust ihrer Mehrheit im Oberhaus schieben wollten. Ex-Premier Zenko Suzuki: „Wir müssen die politische Verantwortung klären und drastische Reformen beginnen. Für die LDP gibt es möglicherweise kein morgen.“

Sosuke Uno, noch nicht einmal seit zwei Monaten die Nummer eins, verstand den Wink und trat gleich am Montag morgen vor die Fernsehkameras: „Ich übernehme die volle Verantwortung für diese Niederlage und habe daher beschlossen, als Präsident der LDP und als Premierminister zurückzutreten.“

Je mehr Stimmen ausgezählt waren, desto deutlicher wurde das Ausmaß des Erdrutsches in der Parteienlandschaft: 126 Sitze, genau die Hälfte des Oberhauses, standen zur Wahl an. Davon wird die regierende LDP voraussichtlich gerade einmal 32 besetzen können, 42 gehen an den großen Wahlgewinner, die Sozialistische Partei mit ihrer Parteiführerin, der 61jährigen Takako Doi, und 33 entfallen auf andere Parteien. Allerdings wird die LDP damit noch nicht gleich zur 25 Prozent-Partei: Bis zu den nächsten Teilwahlen zum Oberhaus 1992 kann sie noch über 73 der 126 Sitze verfügen, die vor drei Jahren vergeben wurden. Doch ihre absolute Mehrheit in der zweiten Parlamentskammer hat sie damit eingebüßt. Eine jetzt mögliche Koalition der Oppositionsparteien dort kann zwar keine eigene Politik machen, aber doch die Regierungsarbeit der LDP erheblich behindern: Die Kammer kann Gesetzen des Unterhauses die Zustimmung verweigern, und sie kann die Verabschiedung des Budgets und die Ratifizierung internationaler Verträge zumindest verzögern.

Sozialistenchefin Doi hat die LDP bereits aufgefordert, einer Koalition von Oppositionsparteien die Regierung zu überlassen - bis zu vergezogenen Neuwahlen. Darauf wird sich die Regierung mit ihrer Unterhausmehrheit (304 von 512 Sitzen) zwar nicht einlassen. Dennoch wächst der Druck zu Neuwahlen im September - und die würde die LDP wohl kaum siegreich bestehen.

Worauf die Niederlage seiner Partei zurückzuführen war, wußte Premier Uno am Montag bei seiner Fernsehansprache schon genau (seine Affäre mit der Geisha, die von ihm umgerechnet 42.000 Mark erhalten haben will, erwähnte er wohlweislich nicht): Das Wählervotum sei eine Revolte von Hausfrauen, Bauern und Ladenbesitzern: Steine des Anstoßes seien der Bestechungsskandal um die Telekommunikationsfirma „Recruit“, die neue 3-Prozent-Umsatzsteuer und die geplante Öffnung der japanischen Märkte für Agrarimporte. Dadurch mußte die LDP auch in der angestammten Wählerschaft der japanischen Bauern starke Einbußen hinnehmen.

Doch die eigentliche Machtprobe steht mit den Unterhauswahlen noch aus, die jetzt möglicherweise vom kommenden auf dieses Jahr vorgezogen werden. Dann nämlich wird sich erweisen, ob die LDP ihre Bastionen in den Ministerien für Transport, für Finanzen und für internationalen Handel und Industrie wird halten können. Sollte sich herausstellen - was gestern noch nicht feststand -, daß die Oberhauskandidaturen der Lobbyisten dieser Ministerien gescheitert sind, könnten die Beziehungen zur LDP merklich abkühlen, und dann dürfte sich das bürokratische Netzwerk der LDP auch als wenig verläßlich für die Unterhauswahlen erweisen. Angesichts der wählernahen Wahlkampfstrategie der Oppositionsparteien leistete es sich die LDP so finanzkräftige und einflußreiche Kandidaten wie Yasumasa Narasaki, einen ehemaligen Beamten aus dem Finanzministerium, der immerhin 380.000 neue LDP-Mitglieder mit 1.5 Milliarden Yen (10,8 Millionen US-Dollar) sponserte, auf den hinteren Rängen antreten zu lassen.

Ehemalige Ministerialbeamte scheinen jedoch nicht die einzigen zu sein, die den Wahlkampfstrategen zum Opfer fielen. Die Nakasone-Fraktion, deren Namen unterdessen eng mit den Auswüchsen des Recruit-Aktienskandals verknüpft sind, kandidierte unter den letzten zehn der LDP-Liste. Die Ausnahme unter den zehn Topkandidaten ist Eita Yashiro, ein frührer Fernsehkomödiant, dessen Beine seit einem Sturz von der Bühne gelähmt sind. Er brachte nicht nur sein fachspezifisches Talent, sondern auch eine Symbolwirkung für den Sozialbereich mit. Geflissentlich sah man darüber hinweg, daß Yashiro nur 50.000 neue LDP-Mitglieder (die ihn etwa 200 Millionen Yen gekostet haben dürften) bei seinem Anlauf für die Nominierung gesponsert hat.

Popularität hatte diesmal den Vorrang vor der Liquidität der Kandidaten. Als hätte die LDP bei der Kandidatenaufstellung nachholen wollen, was sie seit Jahren versäumt hatte: wirtschaftliche Macht auch in politische umzumünzen. Den alten Herren der Regierungspartei wie Uno -Vorgänger Takeshita fiel dazu nicht mehr ein, als ein Jahr lang das Ableben des alten Kaisers mit dem dazugehörigen Nationalkult zu zelebrieren und krude Theorien über die Einzigartigkeit der japanischen Rasse zu verbreiten. Drängende gesellschaftliche Probleme wie wachsende Wohnungsnot und steigende Scheidungsraten gerieten darüber in Vergessenheit.

„Eine Gesellschaft, in der normale Gehaltsempfänger 30 Jahre lang arbeiten, um bei ihrer Pensionierung mit ihrer Lebensversicherung gerade ein Grundstück in der Größe von zwei Tatami-Matten (rund zehn Quadratmeter, d.Red.) kaufen zu können, ist krank“, attestierte 'Asahi Shimbun‘, Japans zweitgrößte Zeitung.

Daß die LDP denjenigen, die sich hier noch in Geduld üben müssen, mehr Rechnung zu tragen hat, realisierte sie offenbar erst bei der Wahlschlappe der Tokioter Kommunalwahlen vor zwei Wochen. Bei dem Erdrutsch zugunsten der Sozialisten zogen in erster Linie junge Kandidaten ins Stadtparlament, während die grauen Eminenzen der japanischen Gerontokratie außen vor blieben. Und bei den Oberhauswahlen präsentierte die LDP zehn Spitzenkandidaten mit einem Durchschnittsalter von 55 Jahren, während die letzten fünfzehn im Durchschnitt über 60 waren.

Nicht nur die Finanzskandale haben gezeigt, daß die seit 34 Jahren amtierende Regierungspartei in einer tiefen politischen Krise steckt und die Unternehmen die wahren Herren in Japans System sind. Bei den Kreisen der Hochfinanz muß sich die LDP inzwischen mit politischer Moral versorgen. Während die Verurteilung Pekings aus allen Teilen der Welt über die Fernschreiber tickerte, wartete Sousuke Uno drei Tage, bevor er sein „Bedauern“ aussprach. Es sei eine schwerwiegende Angelegenheit, wenn ein Land Gewehre gegen das eigene Volk erhebt, konstatierte er schließlich. Die Erklärung Unos wäre noch sanfter ausgefallen, hätte nicht der Vorsitzende von Nissan Motor, Takashi Ishara, auf eine schärfere Reaktion gedrängt.

Die japanischen Werte, an denen die Architekten des Wirtschaftswunders im Kampf gegen die Verwestlichung festhielten, haben sich überlebt. Selbst die vielbeneidete Firmenloyalität kehrt sich inzwischen gegen das System. Der verinnerlichte Zwang, für die Firma alles und das auch noch immer zu tun, forderte 1987 das Leben von 150 Topmanagern.

Simone Lenz/mr/wps

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