: Thatcher versucht die Reihen zu schließen
Mit der umfassendsten Kabinettsumbildung ihrer zehnjährigen Amtszeit reagiert Margaret Thatcher auf die Niederlage bei den Europawahlen / Baut sie mit John Major als neuem Außenminister ihren Nachfolger auf? / Howe muß seine Hoffnungen begraben ■ Von Ralf Sotscheck
Margaret Thatchers alljährliche Kabinettsumbildung endete am Montag abend mit einigen Überraschungen. Insgesamt wurden neun Ministerposten umbesetzt - soviel wie noch nie in Thatchers zehnjähriger Amtszeit. Die größte Sensation war die Beförderung des Staatssekretärs im Finanzministerium, John Major, zum Außenminister. Zwar war erwartet worden, daß der erst 46jährige Major sein eigenes Ministerium erhalten würde, doch mit dem wichtigen Außenministerium hatte niemand gerechnet. Seine Ernennung deutet darauf hin, daß Thatcher in ihm einen Wunschkandidaten für ihre Nachfolge sieht. Der bisherige Außenminister, Sir Geoffrey Howe, wurde auf das in den letzten zwei Jahren nicht besetzte Amt als stellvertretender Premierminister abgeschoben. Außerdem wird er der neue Parlamentspräsident. Damit erhält Howe zwar den offiziell zweithöchsten Kabinettsposten, hat jedoch nur noch geringen politischen Einfluß und kann seine Ambitionen als zukünftiger Premierminister begraben. Die Enttäuschung stand ihm im Gesicht geschrieben, als er Thatchers Amtssitz in der Downing Street verließ, was die Fernsehteams zu wilden Spekulationen veranlaßte.
Die Entfernung des Umweltministers Nicholas Ridley war von Opposition und Hinterbänklern der Tories in den letzten Monaten vehement gefordert worden. Das britische Umweltministerium ist nicht nur für ökologische Fragen, sondern auch für Stadtentwicklung, Häuserbau und Gemeindepolitik zuständig. Ridley wurde in der eigenen Partei für das gute Abschneiden der „Grünen“ bei den Europawahlen verantwortlich gemacht. Das Genick brach ihm jedoch die „Kopfsteuer“, die im nächsten Jahr in England und Wales eingeführt wird und bei der Bevölkerung auf starken Widerstand stößt. Diese Steuer wird von den Gemeinden festgelegt und ist unabhängig vom Einkommen. Da Ridley einer der engsten Vertrauten Thatchers ist, durfte er das Ministerium für Industrie und Handel übernehmen, wo er weniger Schaden anrichten kann. Nachfolger Ridleys wird Christopher Patten, ein weiterer „Newcomer“, der in den letzten zwei Jahren hauptsächlich die Reden für Thatcher geschrieben hat.
Vier Gesichter fehlen im neuen Kabinett: Lord Young, Minister für Industrie und Handel, und Verteidigungsminister George Younger sind zurückgetreten, weil sie ihre Karrieren im Bankgeschäft wiederaufnehmen wollen. Sozialminister John Moore und Transportminister Paul Channon flogen aus dem Kabinett, da sie in der Popularitätsskala ins Bodenlose gesunken waren. Channon war vor allem wegen seiner ungeschickten Handhabung des Eisenbahnerstreiks und wegen des desolaten Zustands der öffentlichen Transportmittel untragbar geworden. Nordirlandminister Tom King wurde für vierjähriges Ausharren in der Provinz mit dem Verteidigungsministerium belohnt. Sein Nachfolger in Belfast wird der bisherige blasse Parteivorsitzende der Konservativen, Peter Brooke, von dem keine neuen politischen Initiativen für Nordirland zu erwarten sind. Brooke war für den katastrophalen Europa-Wahlkampf im Juni verantwortlich, der den Tories den niedrigsten Stimmanteil seit über hundert Jahren bescherte. Neuer Parteivorsitzender wurde Kenneth Baker, der die Partei auf Kurs für die Parlamentswahlen im Jahr 1992 bringen soll. Das wichtige Amt des Parteivorsitzenden wird bei den Konservativen nicht durch Wahl der Mitglieder, sondern von der Premierministerin besetzt.
Thatcher versucht mit der Kabinettsumbildung verlorenen Boden wiedergutzumachen. Neuere Meinungsumfragen zeigen weiterhin sechs Prozent Vorsprung für Labour. Viele Hinterbänkler der Tories fürchten um ihre Sitze, weil sie glauben, daß die „Sozialdemokratisierung“ die Labour Party für breite Schichten der Bevölkerung wählbar gemacht hat. Mit den Konzessionen an die „öffentliche Meinung“ will Thatcher dieser Entwicklung entgegenwirken. Siehe Kommentar auf Seite 8
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