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Stark sein und aus der Rolle fallen

■ Seit Anfang 1989 gibt es den Lesben-Sportverein „Seitenwechsel“ / Ziel: Bei den Sportarten typische Sozialisationen korrigieren

Seit Anfang des Jahres ist die Berliner (Frauen-)Sportszene um ein wichtiges Abgebot reicher: Im Februar ließ sich „Seitenwechsel“, der erste „Frauen/Lesbensportverein in Berlin/W. e.V.“, offiziell als Verein eintragen. Absicht des neuen Vereins ist es, Frauen abseits der herkömmlichen Vereinshierarchien und männlich dominierten Vereinstümelei die Möglichkeit zum Sporttreiben zu bieten. Formal wurden zwar die Vereinskriterien erfüllt und ordnungsgemäß ein Vorstand gewählt, tatsächlich bestimmen aber alle 14 Frauen mit, egal ob als Vorstand oder als „Beirätinnen“ deklariert.

Anstoß zur Gründung des Vereins war war die „Lesbenwoche“ im vergangenen Jahr, auf der es eine Veranstaltung zu Lesben -Sportvereinen gab. Eine bereits vorhandene Lesben -Volleyballgruppe stellte den Grundstein für „Seitenwechsel“ dar. Besonderes Anliegen ist es deshalb für den Verein, Lesben sichtbar zu machen. Neben „gemischten“ Gruppen werden auch reine Lesben-Sportgruppen angeboten, damit Frauen mit denselben Alltagserfahrungen und Selbstverständnis auf Wunsch zusammen trainieren können. Geplant ist in diesem Zusammenhang, nicht nur Szenefrauen, sondern auch ältere oder dicke Frauen anzusprechen, um spezielle Gruppen aufzubauen. Eine andere Idee ist, eine Akrobatikgruppe nur für Mädchen aufzubauen, die auch über die Pubertät hinaus existieren sollte und dadurch die übliche Sozialisation korrigieren könnte. Die Frauen sind davon überzeugt, daß Mädchen, die aufeinanderstehend eine Pyramide bauen, ein anderes für Bewußtsein für ihre Möglichkeiten erhalten.

Überhaupt wird in der Zusammenhang zwischen Alltag und Frauensport groß geschrieben. Sport soll helfen, den spezifisch weiblichen Alltag aufzuarbeiten. Raumgreifende Ballspiele sollen die Frauen ermutigen, auch in ihrem Alltag mehr Raum zu beanspruchen. Krafttraining kann mehr als das in den Fitneßstudios vermittelte Bodystyling leisten, wenn Frauen im alltäglichen Leben nicht mehr vor schweren Gegenständen zurückschrecken und auf den „starken Mann“ angewiesen sind. Unterstützend, doch nicht bevormundend wirken hierbei die Trainerinnen des Vereins, die allesamt eine fachspezifische Ausbildung oder ein Sportstudium hinter sich haben sowie das nötige Bewußtsein mit sich bringen. (Was ist denn „das nötige Bewußtsein“? Vgl.: Elisabeth Haich: Sport und Yoga - d.S.) Da nach ihrer Meinung jede Sportart Aspekte in sich birgt, die auf Rolleneinübung hinauslaufen, versuchen sie das Training bewußt darauf auszurichten: Die Attraktion ist derzeit eine Tanzgruppe für lateinamerikanische und Standard-Tänze, in der sowohl der Männer- als auch der Frauenschritt geübt wird wechselweise.

Nach dem Trainieren ist oftmals Diskussion angesagt, auf die eigene Meinung der „Seitenwechsel„-Sportlerinnen wird großen Wert gelegt. Leistung, in anderen Vereinen Voraussetzung zur Teilnahme überhaupt, kann bei „Seitenwechsel“ angestrebt werden, wird aber meist schon im Vorfeld anders definiert: Leistung beim Handball braucht nicht das Tor, sondern kann bereits der Weg dahin sein.

Der Verein will sich auch mit anderen Frauenprojekten austauschen und politisch tätig sein. Das besetzte Haus in der Mariannenstraße würde ebenso unterstützt wie die Christopher-Street-Demo, an der die „Seitenwechsel„-Frauen teilnahmen. In Vorbereitung zusammen mit dem schwulen Sportverein „Vorspiel“ ist die Fahrt zu den nächsten Gay -Games in Vancouver 1990.

Die bösen Erfahrungen von „Vorspiel“ konnte „Seitenwechsel“ im übrigen für sich nützen, indem sie gleich an die richtigen Fürsprecher im Landessportbund wandten, um dort aufgenommen zu werden und Hallen beantragen zu können. Größtes Problem des Vereins ist im Moment allerdings trotzdem die Raumnot. Zu den vier zur Zeit bestehenden Sportgruppen könnten bei mehr Räumen noch sechs weitere hinzukommen, für die auch Trainerinnen und interessierte Frauen bereitstünden.

Hallen sind zwar schon lange beantragt, aufgrund des Asbestskandals jedoch kaum zu bekommen. Zudem läßt man die „Seitenwechsel„-Frauen die gängigen Vorurteile spüren: Die CDU-Fraktion Neukölln, die ebenso wie alle anderen Fraktionen brieflich um Unterstützung bei der Hallenzuteilung gebeten wurde, sah „keinen Grund, den Verein zu unterstützen“, da die beteiligten Frauen schließlich auch in anderen Vereinen mittrainieren könnten.

Karin Figge

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