: Schüsse vor der Hafenstraße
■ Widersprüchliche Versionen zu einer Festnahme am Hamburger Hafenrand / Polizeibericht spricht von vier Warnschüssen / Rechtsanwalt vermutet aber die Vortäuschung einer Straftat
Hamburg (taz) - Viermal hat am Freitagnachmittag ein Polizeibeamter aus seiner Dienstwaffe vor den umstrittenen Häusern in der St.Pauli-Hafenstraße geschossen. Nach eigenem Bekunden gab er Warnschüsse ab, um sich einer Gruppe von 25 bis 30 Personen zu erwehren, die mit Latten und Steinen befaffnet gewesen sein sollen. Der Anwalt des Wohnprojekts Hafenstraße, Rainer Blohm, gab am Wochenende eine andere Darstellung des Geschehens ab: Danach schoß der Beamte mindestens einmal gezielt auf eine Gruppe von Neugierigen, die der Funkstreife keineswegs in feindlicher Absicht gegenübergestanden hätten. Der Anwalt erstattete Strafanzeige gegen die beteiligten Polizisten wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung und der Vortäuschung einer Straftat.
Sicher ist, daß die Streifenwagenbesatzung vor den Hafenstraßenhäusern einen 23jährigen Mann stellte, in dem sie einen gesuchten Straftäter ausgemacht hatte. Der Mann konnte entkommen, flüchtete in das Lokal „Onkel Otto“, das sich in den Gebäuden des Wohnprojekts befindet. Die Polizisten forderten Verstärkung an - die Straßen wurden abgeriegelt. Bei der Durchsuchung der Kneipe wurde allerdings niemand mehr angetroffen. Anschließend trugen uniformierte Beamte armweise Holz- und Eisenstangen aus dem Lokal. Die Waffen der Angreifer, wie die Polizei vermutet.
Nach dem Polizeiberichts sollen Augenzeugen, die die Festnahme beobachteten, die Hafenstraßenbewohner alarmiert haben. Diese seien daraufhin mit „Schlagwerkzeugen“ auf die Streife zugelaufen. Einer der Beamten hätte zwei Warnschüsse abgegeben, und als das keine Wirkung gezeigt hätte, noch zweimal in die Luft geschossen. Der 23jährige Festgenommene habe sich währenddessen losreißen können.
Rechtsanwalt Blohm behauptet dagegen, daß die Personen, die zum Geschehen geeilt sind, unbewaffnet gewesen wären. Er beruft sich auf Augenzeugen.
Sein Eindruck sei, so Blohm, „daß hier der gezielte Schußwaffeneinsatz im Bereich der Hafenstraßenhäuser medienwirksam öffentlich verbreitet wird“.
Tatsächlich ist der Zwischenfall Wasser auf die Mühlen derer, die den „Spuk in der Hafenstraße“ (Günter Elste, Geschäftsführer der SPD-Bügerschaftsfraktion) möglichst schnell beendet wissen wollen. Die „brutale Hafenstraßen -Gewalt“ (Elste) könnte den Räumungsabsichten des Hamburger Senats förderlich sein. Dazu beitragen soll auch der bisher schwerste Vorfall: Vor einer Woche war der Geschäftsführer der Hafenrand GmbH, Wolfgang Dirksen, bei einer Besichtigung der Häuser von unbekannten Vermummten verprügelt worden.
mib
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