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Tage der Hoffnung und der Angst in Phnom Penh

Prinz Sihanouks berüchtigte politische Unstetigkeit verspielt zunehmend das Vertrauen der Kambodschaner / Die Khmer-Armee rüstet schon gegen die drohende Offensive der Roten Khmer nach dem vietnamesischen Truppenabzug  ■  Aus Phnom Penh F.Grunewald

Die Zeichen sind deutlich. Kambodscha - denn dies ist der neue Name der Volksrepublik Kamputschea, seit die April -Sondersitzung des Parlaments Name, Nationalhymne und Verfassung geändert hat -, bereitet sich auf den Bürgerkrieg vor. Mobilmachung, Aufrüstung der regulären Truppen und der Dorfmilizen. Nachts erzittern die wieder stille gewordenen Straßen manchmal unter den vorbeifahrenden Militärlastern, die Waffen und Material zur Front in die westlichen Provinzen bringen.

Die vietnamesischen Truppen sollen gemäß den Vereinbarungen zwischen Phnom Penh und Hanoi Ende September abmarschiert sein. Die Khmer-Armee wird die Ablöung übernehmen müssen, und die Zeit drängt.

Ende Juni schien es Hoffnung zu geben. Das zweite Treffen der Konfliktparteien in Jakarta, JIM 2, hatte zu einigen Klärungen geführt. Premier Hun Sen hatte Prinz Norodom Sihanouk eine Regierungsbeteiligung und das höchste Amt im Staat in Aussicht gestellt. Viele Anzeichen sprachen für eine Kompromißlösung, die alle vier kambodschanischen Konfliktparteien unter einem eigens ins Leben gerufenen „Führungsrat“ an der Abhaltung von Wahlen beteiligt hätte. Die Pariser Konferenz stand vor der Tür. Vielleicht würde endlich wieder Frieden... Dann der Schock, den die Stimme Amerikas in ihren Sendungen in Khmer-Sprache nach Phnom Penh trug.

Prinz Sihanouk stellte alles wieder in Frage. Er erklärte die Ergebnisse der JIM-2-Konferenz für null und nichtig und wiederholte seine alten Beschuldigungen. Wieder einmal ist das Gespenst des Bürgerkriegs zurückgekommen, zieht durchs Land in die Köpfe der Menschen und die Straßen von Phnom Penh. Die sind wieder wie leergefegt - ein paar Wochen vorher war noch die Ausgangssperre aufgehoben worden, seither gab es wieder so etwas wie ein Nachtleben zu sehen und sogar hier und da Diskotheken.

In der womöglich notwendigen Hast des Aufbaus der Nationalarmee, die im September bereitstehen muß, liegt etwas Pathetisches. Man scheint dieselben Fehler zu machen wie zwischen 1970 und 1975. Die Soldaten sind zu jung und werden manchmal unter Zwang rekrutiert. Die militärische Ausbildung bleibt unzureichend. Selbst wenn die Kambodschaner (und Jahrhunderte der Landesgeschichte legen davon Zeugnis ab) ein verdammt kriegerisches Volk sind: Es steht zu fürchten, daß die jungen Studenten und Bauern, die da in den Krieg geschickt werden, gegen die abgehärteten, überbewaffneten und ideologisch verblendeten Roten Khmer nicht viel vermögen. Denn die manchmal widersprüchlichen, manchmal glaubhaften Neuigkeiten, die uns aus diesem fernen Westen, aber auch von woandersher erreichen, stimmen nicht sehr optimistisch. Seit einigen Wochen haben sich die Angriffe in Zahl und Intensität verschärft.

Die Unsicherheit wird wieder zu einem echten Problem. Die Roten Khmer ermorden Dorfälteste und Lehrer. Besuche westlicher Beobachter in den beiden Provinzen, die im Westen an Thailand grenzen - Battambang und Bantaey Meancheay -, die nach fast fünf Jahren seit Anfang 1989 wieder gestattet sind, werden zunehmend gefährlich.

Zwar befürchtet niemand, daß die Roten Khmer wieder die Herrschaft über das ganze Land an sich reißen könnten, aber sie sind wohl fähig, ziemlich ausgedehnte Gebiete unter ihre Kontrolle zu bringen und vor allem durch einen permanenten Bürgerkriegszustand eine Unsicherheit zu verbreiten, die sehr viele Menschenleben kostet und die wenigen ökonomischen Errungenschaften der letzten zehn Jahre ganz und gar zunichte machen kann.

Die Khmers, vor allem die Städter, fangen schon wieder an zu hamstern für die zu erwartenden schlechten Tage. Auch die Korruption hat wieder Konjunktur, manchmal bis zu den höchsten Chargen. Sie ist auch das einzige Mittel, an die Konsumgüter zu gelangen, die als Schmuggelware aus Thailand auf die Märkte drängen. Soulivan, der zusehen mußte, wie seine Frau und seine Kinder verhungerten, kann sich noch gut erinnern: Wer im April 1975 Gold oder andere Werte bei sich hatte, konnte selbst die Pol-Pot-Wachen bestechen, um sich die paar Tüten Reis zu kaufen, von denen allein das alltägliche Überleben abhing. Diesmal ist er vorbereitet und wird sich seine Position in der Verwaltung zunutze machen, um an das Gold zu kommen.

In der Nacht auf Samstag, den 22. Juli, folgt der zweite Schock: Prinz Sihanouk wiederholt seine Forderung nach Aufnahme der Roten Khmer in eine zukünftige Regierung. Er, den sie „wie einen Kirschkern ausgespuckt haben“, als er ihnen nichts mehr nützte (s. Gefangener der Roten Khmer, sein letztes Buch), erklärt jetzt, daß die Roten Khmer ihm versichert hätten, sie würden unter dieser Voraussetzung der Entwaffnung und der internationalen Kontrolle zustimmen. Man müsse ihnen also glauben. In den Straßen von Phnom Penh aber herrscht Unglaube. Die Hochachtung, die der Prinz bei den alten Bauern immer noch genießt, ist mit seinen häufigen Positionswechseln, vor allem aber durch sein vorbehaltloses Einschwenken auf die chinesische Linie und den damit verknüpften Übereinstimmungen mit den Roten Khmer immer schwächer geworden. Dies gilt um so mehr, als sich die neue Regierung von Phnom Penh, indem sie dem Buddhismus einen Gutteil seines alten Rangs wieder einräumte, eine gewisse Glaubwürdigkeit erworben hat. Zum ersten Mal sind jetzt, einige Wochen vor Beginn der Vossa (der buddhistischen Fastenzeit) wieder „louk nen“ (Novizinnen) in den Pagoden zu sehen. Wird der Prinz als der Mann in die Geschichte eingehen, der Kambodscha zehn Jahre lang vor dem Krieg bewahrt und den Kriegszustand dann zwanzig Jahre lang aufrechterhalten hat?

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