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VIER NAMEN KEIN ENDE

■ Das Teatro de la Riereta spielt „Pedro Y El Capitan“ im Schauplatz

Der eine sitzt auf einem Stuhl, Hände auf dem Rücken zusammengebunden, eine Kapuze aus grobem Tuch über den Kopf gestülpt; der Gefangene. Er wird gefoltert werden. Er weiß das. Er hat Angst. Er soll zum Sprechen gebracht werden. Er schweigt.

Der andere, in bürgerlichem Anzug, krawattiert, geht auf und ab, umschreitet seinen Gefangenen, spricht ruhig und bedächtig auf ihn ein. Er will ihn zum Sprechen bringen. Er sieht das ganz nüchtern und pragmatisch, sagt er, denn so sieht er sich bzw. möchte sich gerne so sehen: Keine Bestie, kein Sadist ist er, nur einer, der eine unangenehme Aufgabe auf möglichst unkomplizierte Weise lösen möchte. Natürlich droht er auch. Nein, nein, daß das nicht falsch verstanden wird, nicht er, sondern die anderen, die Henkersknechte, die „Elektroknilche“ nennt er sie einmal und muß lachen über seine witzige Formulierung, die könnten dem Gefangenen weh tun. Sehr weh tun. Und deshalb, der anderen wegen - er persönlich bedauere solche Methoden, ja, er lehne sie ab möge doch der Gefangene konstruktiv zusammenarbeiten, vier Namen, ein paar Angaben, wer wolle ihm das übelnehmen.

So spricht der Menschenwärter, sachte, dezidiert, scheinbar logisch, scheinbar rational, scheinbar glaubwürdig. Der Gefangene schweigt, und als er dann spricht, sagt er: „Nein, Capitan!„

Gäbe es keine Phantasie, dann gäbe es keine Angst vor der Folter. „Du hast Füße, du hast Hände, du hast Eier, du hast Augen“, sagt der Capitan. Man weiß, was er meint. Sie können zerbrochen, zerschlagen, zerrissen, zerstochen werden, verbrannt, zertreten, zerfetzt. Also spuck's aus, sonst spuckst du Blut und Zähne und Erbrochenes: die Freiheit, den Mund aufzumachen, so oder so.

Ein Theaterstück über die Folter läuft immer Gefahr, sich selbst zu denunzieren: je gröber die Effekte, je scheinbar „echter“ die Darstellung, je narzißtisch ausgespielter die Rolle des Gefolterten, desto größer das Risiko der Verharmlosung. Mario Benedettis Pedro Y El Capitan, 1979 geschrieben, tuschiert diese Gefahren, berührt ihre Grenzen, überschreitet sie aber nicht. Es gibt Momente, in denen das Stück beinahe ins Kitschige kippt, wenn etwa der Capitan, dem Oriol Genis in seiner Gebrochenheit vor allem durch exakte Detailarbeit Leben und Mehrdimensionalität verleiht, seinen Gefangenen anfleht, er möge wenigstens einen der vier Namen sagen, nur einen, sonst sei er, der Capitan, am Ende, ja, er beneide ihn um seine Kraft, seine Identität; während Pedro, mehr tot als lebendig, ein beschwörendes Abschiedswort an die Welt, seine Frau, sein Kind spricht da knistert und knirscht es, aber die Schauspieler halten es zusammen, das Pathos stimmt und die Doppelzüngigkeit.

Benedetti entwickelt ein dialektisches Verhältnis zwischen Gefoltertem und Folterer, der, bedingt durch die Weigerung des Gefangenen zur sogenannten Kooperation und den damit verbundenen Macht- und Autoritätsverlust, mehr und mehr auf sich selbst zurückfällt, das mühsam konstruierte Bild vom guten Folterer, der dem Gefangenen helfen will, aufgeben muß und am Ende, sich ekelnd vor sich selbst und den Verhältnissen, deren Täter wie Opfer er ist, in der Ruine seiner Existenz steht. In einer Mischung aus Realismus, theatralischer Überhöhung und schwärzestem Humor gelingt es dem Stück, das komplexe Hebelverhältnis zwischen Gefangenem und Schinder transparent zu machen; der Täter wird zum moralischen Gefangenen seines Opfers, das seine ideelle Überlegenheit als Waffe einsetzt.

Die Regie Victor Hernandos setzt statt auf Effekte ganz auf den schockierenden Gehalt. Man sieht keine Folterszenen auf der Bühne, hört keine Schreie der Qual, und dennoch sieht und hört man das Entsetzen, es dringt ein via Imagination, ist da.

Ich verstehe nicht, wie man klatschen kann nach diesem Stück, so wie das Publikum es tat - obwohl Autor, Darsteller und Regie jede Anerkennung verdient haben.

wiglaf droste

Das Teatro de la Riereta aus Barcelona spielt „Pedro Y El Capitan“ im Schauplatz, Dieffenbachstraße 15, 1-61, Telefon 6945585, noch von heute bis einschließlich Sonntag jeden Abend ab 21 Uhr. Gespielt wird in spanischer Sprache, eine deutsche Übersetzung wird per Projektion eingeblendet.

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