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Alles offen bei den Schwimmern

Morgen werden in Bonn die 19.Schwimm-Europameisterschaften eröffnet / Michael Groß nur am Beckenrand  ■  Von Martin Krauß

Bonn (taz) - In der ersten Reihe wird man naßgemacht. Was erfahrene Zuschauer von Schwimmwettbewerben wissen, wird nach den Schwimm-Europameisterschaften, die vom 12. bis 20.August in Bonn stattfinden, auch den öffentlich -rechtlichen Platzanweisern klar sein. ARD und ZDF werden täglich bis zu sechs Stunden berichten. Als Co-Kommentator krallten sich die Mainzer ausgerechnet Michael Groß, obgleich doch gerade durch sein sportliches Fernbleiben diese Europameisterschaften gewaltig an Attraktivität verlieren.

Überhaupt wird sich das Team des Deutschen Schwimm -Verbandes (DSV) auf Post-Groß-Zeiten einstellen müssen. Da diese Erkenntnis schwerfällt, baut man den 19jährigen Kölner Martin Herrmann, Deutscher Meister über 100-Meter -Schmetterling, verbal schon als Groß-Nachfolger auf. Herrmann, der mit 0:54,52 Minuten die aktuelle europäische Jahresbestzeit hält, wiegelt ab: „Michael war der größte Schwimmer aller Zeiten“, und es sei nicht einzusehen, warum er automatisch Nachrücker in dieser Funktion wäre. „Alles, was besser ist als der fünfte oder sechste Platz, würde mich überraschen.“ Sein gleichfalls schon verbal aufs Treppchen geschubster Teamkollege, der Kölner Millionärssohn und Deutsche Meister über 200-Meter-Freistil Peter Sitt, assistiert ihm. Sein Ziel sei die Finalteilnahme. Der Rest sei offen.

Offen ist bei diesen 19.europäischen Titelkämpfen nahezu alles. Die zu erwartenden EM-Titel sind im nach-olympischen Jahr so schwer zu prognostizieren wie selten zuvor. Offen sind auch noch die Karten-Vorverkaufsstellen. Erst zwanzig Prozent der Karten wurden abgesetzt. Damit es kein finanzielles Fiasko gibt, müssen es noch sechzig Prozent werden. Offen ist auch die Wetterlage - hält's oder hält's nicht - denn: die Bäder sind offen. Nur die Kunstschwimmerinnen sind im Hallenbad, der Rest schwimmt, springt oder wasserballt open-air.

Offen heißt hoffen

Offen heißt hoffen - zumindest für den DSV. Neben Groß ist auch Thomas Fahrner zurückgetreten, der Mann, der bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles souverän an der 400 -Meter-Kraul-Endlaufteilnahme vorbeigebadet war und dann im B-Finale schneller als der Olympiasieger kraulte. Fehlen wird auch Rainer Henkel. Der ist zwar immer noch amtierender Doppelweltmeister, aber spätestens seit seinem großmäuligen Auftritt bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul einer breiteren Öffentlichkeit eher als Bademeister bekannt. Henkel konnte locker an seine Leistungen des Olympiajahres anschließen und verpaßte die EM-Qualifikation.

Ein Jahr Pause hat die Rücken-Spezialistin Svenja Schlicht eingelegt - zumindest in internationalem Gewässer. Fehlen wegen Krankheit wird Stephanie Ortwig - das DSV-Talent über die längeren Strecken. Verblieben ist der Hamburger Stefan Pfeiffer - mit drei Eff - Silbermedaillengewinner über 1.500 Meter Freistil in Seoul. Seine Zeit bei den Deutschen Meisterschaften über diese Strecke (15:18,83 Minuten) wird allerdings international nicht so toll eingeschätzt.

Hoffnung ist auch das Prinzip des Frank Hoffmeister, Rückenschwimmer auf - er ist DDR-Dissident internationalem Niveau. Nach längerem Suchen scheint er jetzt die für ihn passenden Betreuer gefunden zu haben. Nach seiner Flucht trainierte er zunächst bei der SG Bochum -Wattenscheid und wechselte dann - weil die eine Cheftrainerin bekamen - nach Wuppertal. Dort schwimmt er immer noch, hat aber seit Ende letzten Jahres einen neuen Trainer, Thomas Zweinegger, ebenfalls DDR-Dissident. Dazu erhält er mentales Training (inclusive Hypnose) von einem Polizeipsychologen.

Hoffmeisters Hoffnung auf einen vorderen Platz basiert vor allem darauf, daß das „Tauchen“, also 40 bis 50 Meter lang Delphin-Beinschläge in Rückenlage unter Wasser nach Start und Wende, verboten wurde. Während die gesamte Weltelite mit dieser Technik schwamm, blieb Hoffmeister konventionell. Jetzt hofft er, daß die anderen Probleme bei der Rücken-Rück -Umstellung bekommen. Die anderen - und da dürfte das Problem des Hobby-Triathleten liegen - sind die sowjetischen Topstars Igor Polyanski und Sergej Zabolotnow.

Der einzige Höhepunkt, bei dem die BRD nennenswert beteiligt sein könnte, ist die 4x200-Meter-Freistilstaffel der Männer am Mittwoch.

Otto - die Außersächsische

Spannend sind ansonsten die anderen. Zunächst - same procedure as last year - die DDR. Die hat zwar auch durch Rücktritte und Krankheiten entstandene Lücken zu füllen, aber sie reist mit neuen Leuten an, die dann wieder - same procedure as every year - die Fachwelt überraschen werden. Solche No-name-Favoriten sind zum Beispiel Grit Müller über 400-Meter-Lagen und Ralf Färber über 100-Meter-Brust. Und da ist noch Otto - die Außersächsische. Kristin Otto, mit sechs Goldmedaillen die überagende Athletin der Spiele in Seoul, tritt nach langer Trainingspause in Bonn nur über 100 Meter und 200 Meter-Rücken an, hat sich aber bei den DDR -Meisterschaften in Magdeburg dieses Jahr mit 1:01,77 Minuten über 100 Meter gleich souverän mit einer halben Sekunde Vorsprung an die Spitze der europäischen Rangliste geschwommen.

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