: Moskaus Veto kann Solidarnosc nicht schrecken
■ Der sowjetische Einspruch gegen eine Regierung ohne Kommunisten in Polen scheint die Regierungsbildung eher zu beleben Heute schon Treffen zwischen Kiszczak und Walesa? / Oppositionsvertreter reagieren gelassen auf die Moskauer Einmischung
Warschau (ap/dpa/taz) - Die Warnung des stellvertretenden sowjetischen Außenministers Perfiljew, die Regierungsbildung in Warschau nicht zur Destabilisierung des Landes zu benutzen, die als vorsichtiges Moskauer Veto gegen eine Regierung ohne Kommunisten aufgefaßt wird, bringt wider Erwarten neuen Schwung in die festgefahrenen Koalitionsverhandlungen. Denn während die Bauernpartei nach einem Gespräch zwischen dem Moskauer Botschafter in Warschau und der Parteiführung von der Möglichkeit einer Koalition mit dem Bürgerkomitee Solidarnosc weiter abrückte, werden sich voraussichtlich schon heute der gewählte Ministerpräsident Kiszczak und der Gewerkschaftsvorsitzende Walesa zu ersten Gesprächen treffen.
Kiszczak hatte sich zuvor darüber beklagt, daß es ihm seit seiner Wahl am 2. August nicht gelungen sei, den Solidaritätschef zu sprechen und gab zu verstehen, ein Scheitern bei der Regierungsbildung würde er nicht als persönliche Tragödie empfinden. Beobachter werten dies als erstes Anzeichen dafür, daß sich die Kommunisten mittlerweile über personelle Alternativen zu Kiszczak Gedanken machen, der seit über einer Woche vergeblich versucht, eine Regierungsmannschaft zusammenzustellen.
Relativ gelassen hat die polnische Opposition den Vorstoß Moskaus gegen eine kleine Koalition unter Ausschluß der PVAP aufgenommen. Der sowjetische Botschafter in Warschau hatte am Freitag sowohl mit Kiszczak als auch mit den Vorsitzenden der Bauernpartei und der Demokratischen Partei gesprochen. Der stellvertretende sowjetische Außenminister Perfiljew hatte zugleich vor Versuchen gewarnt, die Regierungsbildung in Polen zur Destabilisierung der Lage im Land zu mißbrauchen.
Auf einer Pressekonferenz in Moskau betonte er, Handlungen, die „die vertraglichen Verpflichtungen Polens, einschließlich der aus dem Warschauer Vertrag und dem Vertrag über polnisch-sowjetische Zusammenarbeit“ beeinträchtigten, seien „nicht im Interesse der Stabilität in Europa“. Die Regierungsbildung sei zwar ausschließlich eine polnische Angelegenheit, so Perfiljew weiter, doch hoffe er auf eine ausgewogene Herangehensweise.
Legt man die unaufgeregten Reaktionen der Opposition zugrunde, könnte sich Perfiljews Hoffnung durchaus erfüllen. Der Fraktionsvorsitzende Geremek sieht in der Einmischung lediglich den Versuch Moskaus, „der Vereinigten Arbeiterpartei in einer delikaten Situation beizustehen“. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Wielowieyski war keinesfalls überrascht: „Ich habe mir niemals vorstellen können, daß die Sowjetunion angesichts der tiefgreifenden Veränderungen in den Ostblockländern gleichgültig bleiben könnte.“ Der Sprecher der Land-Solidarnosc brachte es auf den Punkt: Die Erklärung Pefiljews bestätige nur, „daß in der Optik Moskaus Polen zwar ein autonomes, aber nicht ein souveränes Land sein könne“.
Daß der Moskauer Vorstoß die Fronten zwischen PVAP und Solidarnosc nicht weiter verhärten, sondern eher aufzuweichen scheint, vermutet wohl auch Geremek: Das bevorstehende Treffen Kiszcak/Walesa sei ein Beweis dafür, daß die kommunistische Partei mittlerweile verstanden habe, daß sie ohne Unterstützung der Solidarnosc keine Regierung bilden könne.
eis
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