: „Little Managua“ in Miami: Lieber Cash als Contra
Die nicaraguanische Exilgemeinde in Südflorida ist vor allem durch den Zustrom der letzten zwölf Monate auf 150.000 Menschen angewachsen / Das Ende der Contras wurde für sie schon früher besiegelt und nicht erst mit dem Beschluß der Mittelamerika-Staaten ■ Aus Miami Stefan Schaaf
Zuerst gab es „Little Havanna“, dann kam „Little Haiti“ dazu. Die neueste Erscheinung auf der inoffiziellen ethnisch -politischen Landkarte Miamis ist „Little Managua“. Der Platz für die NicaraguanerInnen ist draußen am Stadtrand, wo die endlosen Bungalow-Siedlungen Südfloridas schon fast in die Sümpfe der Everglades übergehen. „Wie früher in Managua“ sei es, wenn sie heute zum „Centro Comercial de Nicaragua“ komme, freut sich eine Exilantin. Um eine Straßenecke herum ziehen sich hier etwa zwanzig Geschäfte, einige davon wurden samt Namen und Belegschaft aus einer nicaraguanischen Provinzstadt in die Metropole am Südende Floridas verpflanzt. Überall liegt 'La Prensa Centroamericana‘ aus, das kostenlose, von Anzeigen finanzierte Wochenblatt für die 150.000 NicaraguanerInnen Miamis. Mit großen Lettern weist das Blatt auf „Nicafer 89“ hin, die erste Handelsmesse exilnicaraguanischer Geschäftsleute in Miami. Für die meisten der über fünfzig teilnehmenden Kleinunternehmen symbolisierte die dreitägige Ausstellung den Beginn einer gesicherten Existenz fern ihrer Heimat - und den endgültigen Abschied von ihr.
Diese Aufbruchstimmung kontrastiert auffallend mit den apokalyptischen Tönen, die seit dem Gipfeltreffen der fünf zentralamerikanischen Präsidenten aus dem Hauptquartier der Contras zu hören sind und die in abgemilderter Form auch von vielen Exilnicaraguanern wiederholt werden. Enttäuschung schwingt in den Worten Maritza Herreras mit, wenn sie die Nicaragua-Politik Präsident Bushs bewertet. Die Vorsitzende der „Nicaraguanisch-Amerikanischen Stiftung“ bezeichnet es als eine „zweite Schweinebucht“, wie die von Honduras aus operierenden „Freiheitskämpfer“ von der US-Administration fallengelassen worden seien. Die Flüchtlinge aus Nicaragua, für die sie sich seit Jahren in Miami und in Washington eingesetzt hat, würden in der Debatte um Nicaragua völlig ignoriert, beklagt sie. Die Wahlen in Nicaragua, die Präsident Ortega für Februar kommenden Jahres angesetzt hat, werden ihrer Ansicht nach keine Lösung bringen.
Zweite Schweinebucht?
„Viele Contras werden nicht nach Nicaragua zurückkehren, sondern weiterkämpfen“, erwartet sie. Die meisten politisch weniger bewanderten NicaraguanerInnen seien gegenwärtig vor allem verwirrt und versuchten noch, die neuen Signale der Bush-Administration zu interpretieren, so politische Beobachter. Für die NicaraguanerInnen in den Camps in Honduras, die der Propaganda des Weißen Hauses lange Jahre vertraut hatten, wurde das Ende der Contra und damit die vage Hoffnung auf eine Rückkehr zu den Zuständen vor der Revolution mit ihren bequemen Möglichkeiten zur persönlichen Bereicherung schon vor Monaten besiegelt, als Contras und Sandinisten einen Waffenstillstand aushandelten.
„Diese Leute waren Wirtschaftsflüchtlinge, sie sahen ihre Chance, ihnen war klar, daß nun ihre letzte Gelegenheit gekommen war, in die USA zu emigrieren“, sagt der Jurist Jim Mullins, der die Lage in Zentralamerika seit Jahren verfolgt. Und sie kamen: mehr als 20.000 im zweiten Halbjahr 1988. Der Ansturm über die Grenze führte zum Jahresende zu einer Konfrontation zwischen den Gerichten und der Einwanderungsbehörde, die die Flüchtlinge in Südtexas festhielt. Als ein Richter diese Beschränkung aufhob, strömten innerhalb kürzester Zeit Busladungen voll NicaraguanerInnen nach Miami. Einige hundert wurden vorübergehend in einem Baseballstadion untergebracht. Noch heute wird darüber gestritten, ob die Behörden von Texas bis Miami bewußt eine Krise provozierten, um Stimmung gegen die Flüchtlinge zu machen oder zumindest Bundesgelder aus Washington zu ergattern.
Die Hilferufe aus dem Rathaus Miamis waren jedenfalls unüberhörbar, ein „zweites Mariel“ befürchtete die Stadträtin Rosario Kennedy und schürte damit die Erinnerung an den plötzlichen Ansturm von 120.000 Kubanern vor neun Jahren. Die konfuse Reaktion der Stadtoberen auf den erneuten Flüchtlingsstrom provozierte Verärgerung in der Stadt. Einige NicaraguanerInnen, die schon seit langem um ihre Aufenthaltsgenehmigung gekämpft hatten, fühlten sich gegenüber den Neuankömmlingen benachteiligt und erwogen, mit ins Stadion zu ziehen, in der Hoffnung, an der Welle der Hilfsbereitschaft teilzuhaben.
Schwarze verbittert
Verbittert reagierten besonders die Afroamerikaner Miamis, die sich seit der Ankunft der Kubaner in den sechziger Jahren immer wieder auf die unterste Sprosse der sozialen Hackordnung zurückgestoßen sehen. Als im Januar ein hispanischer Polizist einen schwarzen Motorradfahrer willkürlich erschoß, gab es drei Tage lang Zoff, den die Polizei nur mit großer Mühe zu bändigen vermochte.
Doch die NicaraguanerInnen in Miami sind sicher die falschen Objekte sozialen Neids. Noch immer leben die meisten in einem juristischen Niemandsland, mit einer nur vorübergehenden Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis in der Tasche. Gerüchte über bevorstehende Abschiebungen machen häufiger die Runde und sorgen für Unruhe. Noch immer werden fünf von sechs Asylanträgen abgelehnt. Was vielen bleibt, sind Gelegenheitsjobs zu aberwitzig niedrigen Löhnen. Doch selbst diese Jobs, ob als Laufburschen, Putzfrauen oder Nachtwächter, ermöglichen es noch, ein paar Dollar zurückzulegen und gelegentlich einen Scheck nach Nicaragua zu schicken.
Existenzkampf
Der Kampf um den Aufbau einer Existenz ist für die meisten NicaraguanerInnen Miamis wichtiger geworden als der politische Kampf in ihrer alten Heimat. Doch oft bietet der Konflikt in Nicaragua den Nährboden für neue Geschäfte. Ein verbitterter Exilant zählt auf, wie einige sich an der Not ihrer Landsleute bereichern, und einen schwunghaften Handel mit allem aufziehen, was in Nicaragua knapp, gesucht und hochbezahlt ist. Und besonders bitter macht ihn, daß dabei die gleichen Namen auftauchen, die er noch aus der Somoza -Ära kennt.
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