: Menschenrecht und Menschentritte
Jubelfeier anläßlich des Geburtstags der Menschenrechtserklärung / Die Pariser Vorstädte blieben ausgeschlossen Folge: Prügeleien zwischen Sansculotten und republikanischer Polizei / Szenen aus einem „Tag der Brüderlichkeit“ ■ Aus Paris Alexander Smoltczyk
Paris hatte sich eingeflaggt in Blau und Rot, den Farben der Stadt, dazwischen einen Streifen Lilien-Weiß - ein Relikt der einst gestürzten Bourbonen. Aber wer wollte nachtragend sein am 200. Geburtstag der Menschenrechte? Die Flics sind frisch gewaschen und tragen weiße Handschuhe, denn, „die Sicherung der Menschen- und Bürgerrechte erfordert Ordnungskräfte“ (Art. XII.). Und der Innenminister hatte in Festtagslaune allen Revieren einen Hochglanzdruck der Erklärung spendiert. Ein Nörgler und Pedant, wer - wie eine maliziöse Morgenzeitung - daran erinnert, daß in der Wache von Saint-Denis kürzlich eben diese Hochglanzerklärung einem Maghrebiner um die Ohren geschlagen worden war.
Doch ziehen wir weiter durch einen Tag, dessen Motto die staatliche Depositenkasse mit ganzseitigen Anzeigen gegeben hatte: „Fraternite“, Brüderlichkeit. Am Trocadero feiert Bürgermeister Chirac für sich alleine, weil er nicht mit dem Präsidenten zusammen feiern kann; „niemand kann gezwungen werden, etwas zu tun, was das Gesetz nicht befiehlt“ (Art. V.). Chirac hat sich eine kühne Symbolik ausgedacht. Ein Seiltänzer balanciert auf einem 700 Meter langen Stahlseil über die Seine hinauf zur ersten Plattform des Eiffelturms. Dort überreicht er Chirac eine Schatulle mit einem Faksimile der Deklaration. Bürgerrecht als Drahtseilakt?
Und die Feier geht weiter. „In Gegenwart und unter dem Schutz des Höchsten Wesens“ (Präambel), seiner Majestät Fran?ois Mitterrand wird die „Arche der Brüderlichkeit“ eingeweiht. Sie steht inmitten des futoresken Büroviertels La Defense. Ein kolossaler und hohler Würfel, der die Öffnung von Paris (also von Frankreich, also von Europa) zur Welt symbolisieren soll. Im Dach dieses Jochbogens ist eine „Stiftung Arche der Brüderlichkeit“ untergebracht, finanziert maßgeblich vom Zeitungstycoon Robert Maxwell. Ursprünglich sollte der Würfel einen internationalen „Kommunikationspark“ abgeben, denn „der freie Austausch von Gedanken und Meinungen ist eines der kostbarsten Menschenrechte“ (Art. XI.). Doch als 1986 Jacques Chirac (der mit dem Drahtseil) Premier wurde, kappte er die Gelder und verpachtete den Kubus an die Privatwirtschaft. Schließlich war, wir erinnern uns, am 26. August 1789 noch nach Redaktionsschluß der Menschenrechtserklärung dem Abgeordneten Adrien Duport eingefallen, einen nicht unwichtigen Artikel XVII. aufnehmen zu lassen: „Da das Eigentum ein unverletzliches und heiliges Recht ist, kann es niemandem genommen werden.„
Hoch oben, in erlauchter Runde und etwas freischwebend über der langsam einträufelnden Menge eröffnet nun der Präsident mit einem Appell, im steten Bemühen um die Menschenrechte nicht nachzulassen, eine Ausstellung „Freiheiten im Exil“. Man sieht meisterliche Fotos, die spärlich untertitelt sind: „Äthiopien 1985“, „Hongkong 1988“ etc. Das pro Kubikmeter teuerste Bauwerk der Pariser Stadtgeschichte ist zweifellos der richtige Ort für derartige Bilder. Um den universellen Anspruch des Französischen zu unterstreichen, wurde auf Übersetzungen der wenigen historischen Hinweise verzichtet.
Auf dem Dach des Würfels geht inzwischen die Sonne unter, und angeheiterte Lustgreise schäkern mit den hübschen Hostessen. „Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet.“ (Art. IV.) Wir kommen zum Höhepunkt der Brüderlichkeit. Ein vom TV-Sender Antenne II bestelltes Konzert mit den Spitzen aus Rock und Pop und Menschenrechten: Barbara „Diva“ Hendricks, Gianna Nannini, Cheb Khaled, Isabel Allende, Harlem Desir etc. Das Volk hat sich in drei Stände geteilt: die Notablen mit Sitzplätzen, die Privilegierten mit Eintrittskarten und den Rest. Zwar waren die Karten umsonst - doch mußten sie in einem Büro im schicken siebten Viertel abgeholt werden. Die Citoyens aus den Vorstädten, die sich selten dorthin verirren, blieben außen vor. Pech gehabt. „Die Menschen werden frei und gleich geboren und bleiben es für immer. Soziale Unterschiede dürfen nur im allgemeinen Nutzen begründet sein.“ (Art. I.) Eben!
Ein Schauspieler zelebriert die Rede M. L. Kings „I had a dream“. Überhaupt haben alle einen Traum: Mitterrand träumt vom Elan einer menschenrechtelnden Jugend, der argentinische Nobelpreisträger Esquivel von einer „Zeit, in der sich alle verstehen werden“, und die Vorstädte beginnen, von einem Platz jenseits des Zaunes zu träumen, und fangen an, an der Absperrung zu rütteln. Über der Bühne schillern andächtig die Signets von IBM, elf und der Banque Worms.
Der dritte Stand artikuliert sich: „Aufmachen! Aufmachen!“ wird skandiert. Auf der Bühne singt ein chinesischer Kinderchor. Plötzlich gibt die Absperrung nach und die Vorstädte brechen ein: die „Blacks“, „Beurs“ und „Zoulous“ aus den Trabantenvierteln - Jugendliche, die „nichts sind und etwas werden wollen“, wie es vor 200 Jahren geheißen hätte. Gegenüber diesen couragierten Sansculotten ist die Polizei sichtlich überfordert. Sie wirft mit Tränengas und schlägt mit Gummiknüppeln. Zwei Jugendliche werden zu Boden geschlagen und von Uniformierten zusammengetreten. Von Maxime Leforestier auf der Bühne ist nicht mehr viel zu hören. Pfeifchöre, zersplitternde Flaschen, Böller - es ist wie einst vor der Bastille. „Wir bezahlen euch dafür, daß ihr uns zusammenschlagt, nur weil wir das Konzert sehen wollen“, brüllt eine junge Maghrebinerin einen Polizisten an. „Für den Unterhalt der Ordnungskräfte und für die Kosten der verwaltung ist eine allgemeine Abgabe unumgänglich.“ (Art. XIII.) Eine Dreiviertelstunde dauert die Revolte, dann wird das Tor geöffnet. Das Konzert ist ohnehin beendet und mit ihm dieser „Tag der Brüderlichkeit“.
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