: Packeis nach Sevilla
Auf der Weltausstellung 1992 im heißen Andalusien will sich die Schweiz mit einem Bonsai-Eisgletscher darstellen ■ Aus Helvetien Th. Scheuer
In den tieferen Schichten des schweizerischen Nationalcharakters rumzumeißeln, haben sich Korrespondenten nicht nur wegen der Tücken jeder Verallgemeinerung zu verkneifen. Schließlich will man gegenüber den GastgeberInnen auch nicht unfreundlich werden. Dankbarerweise pinselt derzeit eine „Kommission für die Koordination der Präsenz der Schweiz im Ausland“ an einem aufschlußreichen Selbstporträt des Landes. Schauen wir also, wie sich die offiziellen Helvetier selbst sehen, bzw. gerne gesehen werden wollen, und lassen wir dazu unseren Blick von den kühlen Alpengipfeln ins ferne Sevilla im heißen Spanien schweifen.
Dort findet 1992 die nächste Weltausstellung statt, und die erwähnte Kommission hat beizeiten ihr Hirnschmalz in die Frage investiert, welches dem internationalen Millionenpublikum der Expo 92 „la Petit-Suisse“ nahe bringen soll. „In Anbetracht des heißen Klimas sollte auf dem schweizerischen Ausstellungsgelände eine frische und angenehme Atmosphäre herrschen, die dazu beitragen wird, daß jeder Besucher der Expo die schweizerische Präsenz als unvergeßliches Erlebnis in Erinnerung behält.“ So die Auftragslage gemäß Wettbewerbsprospekt. 91 Bewerber reichten ihre Entwürfe ein. Aber keiner nahm den Wunsch nach Frische so ernst wie der Architekt und Professor Vincent Mangeat, dessen Projekt das Rennen machte: ein gigantischer Eisklotz. Die Schweiz will sich in den „andalusischen Gärten“ der Weltausstellung in Sevilla mit einem 30 Meter hohen und 12 Meter dicken Turm aus Kunsteis präsentieren. „Swice“, eine Schöpfung aus Swiss und Ice, heißt der Mammut-Eiszapfen, der auch bei 40 Grad im Schatten Form behalten und 4.000 Besucher pro Stunde erfrischen soll. Eine Schweizer Spezialfirma will demnächst auf ihrem Werksgelände einen Teil des Turms probebauen - in einem Zelt, in dem andalusische Sommerhitze simuliert wird. Ein Bonsai -Gletscher - klobig, frostig, unbeweglich - schien der Jury also am besten geeignet, unter Spaniens heißem Himmel die „Aspekte einer modernen Schweiz zu vermitteln und das Verlangen nach einem Besuch unseres Landes zu wecken“. Gehört für die mit der Selbstdarstellung Helvetiens betrauten Funktionäre eine satte Portion Eiseskälte zum unverwechselbaren Gemütsinventar der Alpenrepublik? Lieferten die Aktivisten der Züricher Jugendunruhen 1980/81 mit Wortspielen wie „Weg mit dem Packeis“ oder „Freiheit für Grönland“ etwa doch eine treffende Beschreibung der eidgenössischen Gefühlslandschaft?
Vorerst erhitzt das coole Ding noch die Gemüter: Der Eisturm symbolisiere, so die Kritiker, technischen Machbarkeitskult ohne Rücksicht auf die Kosten. Vor allem der enorme Energieverbrauch der Dauer-Eisbombe (die Eismaschinen werden von Dieselgeneratoren versorgt) setze ein umweltpolitisches Negativ-Beispiel. Schon kursieren ökologische Gegenmodelle, etwa ein zeltartiger Pavillon mit einem beweglichen Faltdach, das sich je nach Tageszeit wie eine Blume öffnet oder schließt und die nötige Energie aus Solarzellen zapft. Doch die Zeit wird knapp. Im September will die Regierung entscheiden, danach soll noch das Parlament debattieren. Derweil tröstet Professor Mangeat seine Gegner mit dem provisorischen Charakter seines Eisbaus - nach Beendigung der Expo werde es wegschmelzen. Spätestens.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen