: Wer draußen ist, bleibt draußen
■ Wohnungsnot in Bremen: Wer kein Dach überm Kopf hat, muß zelten gehen / Amt für Wohnungshilfe ratlos
Die Arbeitstage, an denen Wolfgang Golinski morgens schon genervt ins Büro kommt, nehmen zu. Manchmal ist es einfach eine „einzige Katastrophe“. Daß man seine Behörde eigentlich auch ganz zumachen könnte, will Golinski zwar noch nicht wahrhaben: „Im Grunde werden wir gerade jetzt gebraucht.“ Aber, räumt Golinski ein: „Es gibt immer mehr Fälle, bei denen wir einfach passen müssen.“
Mit seinen vier Mitarbeitern - für jede Bremer Himmelsrichtung einem - soll Golinski im Bremer Amt für Wohnungshilfe in der Langenstraße dafür sorgen, daß „Obdachlosigkeit“ für Bremer möglichst ein Fremdwort bleibt. Was sich auf dem Papier der Behörden Geschäftsverteilungspläne so einfach anhört, ist in der Praxis allerdings längst zur fast unlösbaren Aufgabe geworden. Es gibt Tage, an denen Golinski und seine Kollegen sich auf einen einzigen dienstlichen Satz beschränken können, den allerdings immer wiederholen müssen: „Es tut, mir leid, wir haben nichts.“
Fall 1, Petra C. (Name v. D. Red. Geändert), getrennt lebend, zwei Kinder: Seit Mitte Juni hat die junge Mutter keine eigene Wohnung mehr. Die 3- Zimmer-Wohnung für 1.100 Mark warm, konnte sie nach der Trennung von ihrem Mann einfach nicht mehr bezahlen. Notgedrungen kündigte Petra C. In der Hoffnung, während der Kündigungsfrist eine neue Bleibe zu finden. Ergebnislos. Mitte Juni stand der Möbelwagen der Nachmieter vor der Tür. C. Mußte ausziehen, ohne zu wissen wohin. Weder Makler noch Zeitungsinserate hatten ihr zu einer neuen Wohnung verholfen. Auch das Amt für Wohnungshilfe mußte passen. Wochenlang suchte Petra C. Immer neue Übergangslösungen, brachte den Großen (5) beim Vater, den Kleinen (2) bei den Großeltern unter, zog selbst zu Freunden usw. Ein einziges Mal schöpfte sie während der endlosen Suche kurze Hoffnung: Von einer 1- Zimmer-Wohnung für sage und schreibe 650 Mark Kaltmiete wollte der zuständige Sachbearbeiter gehört haben. Auch diese Hoffnung zerschlug sich.
Fall 2.: Seit 14 Tagen sitzt die dreiköpfige Familie D. Auf der Straße. Beide Eltern sind arbeitslos. Auch sie konnten ihre 4-Zimmer nicht mehr bezahlen. Der Vermieter versprach eine kleinere, preisgünstigere Wohnung, falls die D. S ausziehen würden. Als der vereinbarte Umzugstermin gekommen war, hielt er sein Versprechen nicht. Auch den D. S konnte bislang niemand helfen. Einziges Angebot des Amts für Wohnungshilfe: Eine 2-Zimmer- Wohnung mit 46 Quadratmetern. Die D.'S lehnten ab. In ihrer Verzweifelung planen sie stattdessen jetzt, auf dem Marktplatz demonstrativ ihr Zelt aufzuschlagen, um auf ihre Notlage aufmerksam zu machen. So oft sie in den letzten Wochen auch im Amt für Wohnungshilfe waren - mehr als ein Achselzucken haben sie nicht geerntet.
Im Gegenteil: Je geringer die Erfolgsaussichten, desto gereizter wird dafür der Ton in den Amtsstuben. „Ich bin regelrecht abgekanzelt worden,“ beschwert sich z. B. Petra C. über die über rüde Umgangsformen des Amtsleiters. „Als ich mich nach der angeblich freien Einzimmer- Wohnung erkundigen wollte, ist mir die Tür vor der Nase zugeknallt worden, und ich mußte mich fragen lassen, ob ich 'schwer von Begriff sei und nicht kapieren könne, daß es keine freie Wohnung gebe.“
Wolfgang Golinski bestreitet gar nicht, daß ihm inzwischen ab und zu der Geduldsfaden reißt: „Was soll ich denn machen. Mehr als den Leuten sagen - Wir haben nichts - kann ich doch wirklich nicht.“
Besonders sauer wird Golinski, wenn auf Aussiedler und Asylbewerber geschimpft wird, denen Wohnungen angeblich vorn und hinten nur so reingestopft werden: „Wir bemühen uns, für alle eine Wohnung zu finden. Aber bei allen wird es eben immer schwieriger.“
Chancen gibt es noch bei den Mietern der großen gemeinnützigen Wohnungsbauunternehmen wie der Gewoba oder der Bremischen. Wer dort rausfliegen soll, z. B. Weil er seine Miete nicht bezahlt und einen Räumungsprozeß verloren hat und rechtzeitig zum Amt für Wohnungshilfe kommt, kann zumindest auf eine Übergangslösung hoffen. Golinski: „In solchen Fällen zögere ich keine Sekunde und verfüge die Wiedereinweisung nach Obdachlosen-Polizeirecht.“ Ergebnis: Trotz Zwangsräumungstitel kann der Mieter einstweilen in seiner Wohnung bleiben. In allen anderen Fällen hat Golinski inzwischen nur noch eine Rat: Wer eine Wohnung hat, soll sie auf Biegen und Brechen behalten, über Zahlungsschwierigkeiten mit dem Sozialamt reden, sich irgendwie mit dem Vermieter einigen. Denn: Wer einmal draußen ist, der bleibt auch draußen.
K. S.
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