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Die Kunst der Paranoia

■ 25 Jahre Videoskulptur - eine Geisterschau in der Berliner Kongreßhalle

Es ist zum Fürchten! Im Bunkerdunkel Doppelgänger überall. Überall bewegt sich etwas. Etwas? Ich? Zeitachsenmanipuliert, zerteilt, zerschnitten, zerquetscht, zerdehnt. Vielfach vermehrt. Gespenstisch gespeichert. Gefangen unter der Zeitlupe. Lebende Fliegen auf meinem schattigen Gesicht. Ich als Hase und Ich als Igel. Ich in blau, Ich in gelb, Ich in rot. Ich von oben im Labyrinth, kamerabeschützt. Sich selbst von hinten gehen sehen. Es ist zum Weglaufen. Na denn immer man rin inne Endlosschleife! Ins Fliegenterritorium (1979) von Wolf Kahlen, in den Videokorridor (1969) von Bruce Nauman, ins Present Continous Past(s) (1974) von Dan Graham oder ins Wipe Cycle (1969) von Frank Gillette und Ira Schneider, in die Iris (1968) von Les Levine.

All diese Installationen in der Eingangshalle der Berliner Kongreßhalle arbeiten mit demselben simplen machtstrategischen Trick: mit dem „closed circuit“, dem geschlossenen System, in dem Mich Kameras aufzeichnen und Mich auf Monitoren widergeben, wo, wann und mit wem sie wollen. Hier glotzt das Kunstwerk gnadenlos zurück, und wenn Es will, dann blendet Es Mich einfach aus. Wo Es war, kann Ich nicht mehr werden. Ich - eine digitale Kontonummer auf der Körperdatenbank - Ich - immer schon im Präteritum - Ich - immer schon vergangen, immer schon vorbei. Video integriert die Gedächtnisfunktion in die bildende Kunst nur, um diese gleichzeitig wieder an die Technik weiterzuverkaufen.

Und so glaubt nur das kunsthistorische Klischee an die platte Sozialkritik der Videokunst am Moloch Fernsehen, an die moralische Metapher, an die Allegorisierung des Fernsehens und seiner Bedrohung, wie sie etwa der alltagswürdi- gende, aufrecht-antihochkünstlerische, schwerverdienende, fluxustraditionelle oder schlicht altmodische Videoopa Wolf Vostell mit seinem zubetonierten TV-Beton-Paris (1974) herbeizitiert. Doch omnipräsent und bedrohlich sind die Schatten und nicht die Apparate, die sie produzieren. Und wenn die Schatten und Spiegel des Subjekts von der Psychoanalyse klinisch verifiziert und vom Kino technisch implementiert wurden, wie Medienmann Friedrich Kittler schrieb, so werden sie von Videoinstallationen künstlerisch exponiert.

Videokunst führt den Zusammenhang zwischen Medien, Okkultismus sowie psychischem und technischem Apparat vor. Seit „Anbeginn“ gilt, daß „okkulte Medien immer technische Medien voraussetzen“: auch dies ein Zitat von Kittler, der Otto Rank zitiert, der einen Fidschiinsulaner zitiert, der seinen ersten Blick in europäische Spiegel einen Blick in die Geisterwelt nannte. Umgekehrt gilt seit 1965, dem Jahr der Erfindung des tragbaren Videorecorders, als Bedingung der Möglichkeit von Videokunst, daß technische Medien stets Okkultes produzieren. Das wissen wir nicht nur, sondern können es sehen, mit dem Joystick handgreifen und herbeizoomen.

Also widerlegen die Exponate mit einer Bildfrequenz von soundsoviel Hertz den Faltblattext der Berliner Festspiele GmbH: „Jedem Besucher wird klar, daß hier parallel zur Internationalen Funkausstellung etwas anderes geboten wird als eine Parade technischer Objekte, denn die Elektronik ist nur Hilfsmittel zur Darstellung künstlerischer Visionen und subjektiver Inhalte, wie in anderen künstlerischen Bereichen auch.“ Die Daten von Marshall McLuhan würden sich im Ram -Speicher umdrehen.

Schuld an der Videokunst sind Opa Wolf Vostell und Papa Nam June Paik. Der hatte zuerst Klaviere attackiert und sich dann konsequent dem Fernsehgerät zugewandt. Seine rekonstruierten medienmeditative Ahneninstallationen Zen for TV (1963) und Point of Light (1963) mit Linie beziehungsweise Punkt auf Bildschirm fehlen genausowenig wie seine stolze VV-W (V-yramid) (1982), die mit mittlerweile 80 Monitoren recht flott herumkaleidoskopiert. Schuld sind auch der Fluxus, der Avantgardefilm, der Minimalismus, die Pop-art, die Nouveaux Realistes, die Collagetechnik, das Happening, das Environment und reichlich andere ungenannt bleiben wollende vazierende Künste und Konzepte. Videokünstler verkleiden sich als Performer, Bildhauer, Tänzer, Fernseher, Musiker, Fotografen, Designer, Feministinnen, Wagnerianerinnen, Psychopathen, Maler - Wölfe im Vostellspelz, die ihr Geschäft vom Paik auf gelernt haben. Höchst unterschiedlich sind also diese 43 Arbeiten von 40 Künstlern, die Wulf Herzogenrath und Edith Decker überblickshalber und vierteljahrhundertbilanzierend zusammengestellt haben und die an drei verschiedenen Orten schon im Frühjahr in Köln gezeigt worden sind.

Manche haben auf den ersten Blick wenig, wenig miteinander zu tun. Oder was verbindet Marie Jo Lafontaines Victoria mit Mary Luciers Untitled Display System? Bei Lafontaines Theatraloinstallation tanzen zwei Bildschirmmänner auf 19 spiralförmig angeordneten Säulensockeln Tango, auf den beiden schlichten Monitoren von Mary Luciers (1977) finden sich helle Linien, die ein Laserstrahl irgendwann in der Vergangheit eingezeichnet hat, und dahinter schieben sich die dunklen Schatten der Gegenwart, transportiert von einer kaum lichtempfindliche Kamera. Oder wie paßt Ulrike Rosenbachs über drei Bildschirme zwar zerstückelte, aber dennoch ganzheitlich dahingestreckte Femokitsch-Or-phelia (1987) zu Klaus vom Bruchs Skulptur Einstein-Beam (1988/89), wo Einstein beamt?

Dennoch: Videoskulptur ist, wenn es nicht mit rechten Dingen zugeht. Und unrecht ist, wenn der Holländer Servaas in seiner Installation Pfft (1982/83) eine echte Feder durch einen unechten Videomund anblasen läßt; wenn der lebensgroße Schwimmer (1984) der Mailänder Gruppe „Studio Azzurro“ durch eine Reihe von zwölf Monitoren schwimmt; wenn Europäer im Rock Garden (1986) des Jugoslawen Dalibor Martinis, einer Vervideoung eines Steingartens in Kioto mit 14 Monitoren mit Gebirgsbach, Schnee, Felsen, Wald etc., meditieren und zwar unter Mißbrauch von Unterhaltungsgerät.

Dazu der sponsernde Sony-Mann: „Wir können nicht beurteilen, ob das Kunst ist.“

Gabriele Riedle

Die Ausstellung 25 Jahre Videoskulptur Videoinstallationen, Videotapes ist im Rahmen der Berliner Festwochen noch bis 24.September in der Berliner Kongreßhalle zu sehen. Von 13.Oktober bis 12.November geht ein Drittel davon nach Zürich ins Kunsthaus.

Statt eines Kataloges ist im DuMont-Verlag eine Begleitpublikation mit dem Titel Video-Skulp tur - retrospektiv und aktuell 1963-1989 erschienen, herausgegeben von Wulf Herzogenrath und Edith Decker mit fünf kleineren Überblicksaufsätzen und einem Künstlerlexikon, das das Leben und Streben von 80 Videotätern verzeichnet.

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