: Und es ward sechsmal Osram im Finsterwald
■ Das Märkische Viertel strahlt seine Sehenswürdigkeiten an / Per Bus durchs MV-Nachtleben / Aber: Um 23 Uhr geht das Licht aus
Der alte, glatzköpfige Mietervertreter, mit Sport-, Vertriebenen- und Parteiabzeichen am Revers, nordberlinert sein Rezept, krakeelende Türkenkinder unterm Balkon zu verjagen. Blumenwasser drauf! Seine dauergewellte Kollegin erzählt derweil vom anstrengenden Busurlaub in der Westtürkei. Bis Istanbul viermal übernachten. Wär‘ mir zu anstrengend, meint die Nachbarin.
Tief im Märkischen Viertel, Finsterwalder Straße, zur Tagesschauzeit. Warten auf den Bus der GeSoBau, der hier 15.000 von 17.000 Wohnungen gehören. Mietervertreter aller Wohnhausgruppen plus Journaille werden durchs Karree gekarrt, denn es gibt eine neue „Wohnumfeldverbesserung“ zur Kenntnis zu nehmen. Mehr Licht! Die GeSoBau: „Sechs markante Punkte des Viertels werden vom Einbruch der Dunkelheit bis 23 Uhr angestrahlt.“ Als da wären: eine Betonplastik, eine Pflanzgruppe, eine freistehende Pappel, noch zwei Plastiken und ein Wasserspiel. Die GeSoBau: „Die Beleuchtung soll nicht nur das Augenmerk von Nachtschärmern auf Kunst und Natur lenken, sondern auch wesentlich zur Orientierung im Viertel beitragen.“
Es geht los, an einer wunderschönen Tankstelle vorbei, immer schon taghell angeleuchtet. Halt an der Betonplastik am Eichhorster Weg. Kunst-am-Bau, Bastard zwischen Westwallrest und Wasserklops. Jetzt orange illuminiert. Ein GeSoBau-Vorstand lobt angesichts des Lichtspiels die „Tatkraft und Sensibilität, mit der Bausenator Nagel sein Amt für öffentliche Beleuchtung und die Bewag inspiriert hat“. Nagel bezahlt auch die Lampen (90.000 Mark) und die laufenden Kosten (3 Mark pro Tag). Die Mietervertreter bleiben in respektvollem Abstand von der Betonkugel auf der anderen Straßenseite stehen.
Der architektonische und künstlerische Berater der GeSoBau, Alessandro Carlini, Zigarettenspitze und Akzent: „Es gibt Dinge, die aufgrund von Vorurteilen nicht wahrgenommen werden, wir sollten sie ohne Hemmungen und Aggressionen betrachten.“ Carlini hat die GeSoBau auch bei Auswahl der neuen Farbe („champagner“) für den „Langen Jammer“, das längste Hochhaus des Viertels (fast einen Kilometer), beraten.
Wieder im Bus fachsimpelt der GeSobau-Vorstand statt über Lichtkunst lieber über Erdverbundeneres: den „Unger-Block“, „der in konventioneller Bauweise entstanden ist. Hier haben wir keine Fertigteil-problematik, sondern eine Putz -problematik“. Am Herzen liegt auch die Restaurierung des „Leo-Blocks“: „Der bekommt einen völlig neuen Charakter, wir hüllen ihn ein in Wärmedämmung.“
Pech bei der nächsten Plastik an der Grundschule: Der Hausmeister hat die Schulbeleuchtung nicht gelöscht, so kommen die neuen Lampen nicht zur Geltung. Carlini preist trotzdem die „krasse Farbigkeit“ der Polyesterdenkmals. „Noble aztekische Elemente“ hat er am Wasserspiel am Wilhelmsruher Damm entdeckt. Da ist das Licht an, aber das Wasser läuft nicht.
Jetzt kommt die beleuchtete Natur dran. Doch vorher noch etwas GeSoBau-Eigenhymne: „Die Wohnhausgruppe von Müller -Heirichs ist selbst eine Skulptur!“ Die Mietervertreter mucken auch nach diesem Geblubber nicht auf, vermutlich haben sie die angestrahlte Edelstahlplastik an der Wesendorferstraße noch nicht verdaut (O-Ton Mietervertreter: „Das ist doch 'ne blankgeputzte Stalinorgel“). Wo die Calauer Straße auf den Senftenberger Ring stößt, ist eine Pflanzgruppe angeleuchtet. „Damit man abends nicht auf ein schwarzes Loch zufährt.“ Schließlich die freistehende Pappel („ein ganz wichtiges Element im Viertel, die ist auf vielen privaten Fotos und auch auf Postkarten drauf“), die dem 15 -stöckigen Block im Hintergrund einen Hauch von Herrenhaus verleiht. Heimelig leuchten auf der riesigen Fassade die Wohnstubenfenster. Da packt es den GeSoBau-Vorstand : „Eigentlich sorgen ja auch die Bewohner für eine interessante, belebende Beleuchtung, aber das kann man ja unterstützen.“ Denkbar seien noch mehr markante und besser belichtete Häuser. Und - auf die Idee seien die Bewohner ja schon vor langer Zeit gekommen - Lampen auf dem Bürgersteig, statt an der Fahrbahn. „Denn die Autos haben ihre Lampen ja dabei.“
Im Märkischen Viertel gibt es noch viel Gutgemeintes zu korrigieren: Leuchten wirs an.
kotte
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