piwik no script img

SEARCH AND DESTROY

■ Brian de Palmas „Greetings“ und „Hi Mom!“ im Eiszeit-Kino

Sie sehen aus wie die Beatles. Und sie singen auch so. Aber Greetings, der Soundtrack des gleichnamigen Films, stammt von den „Children of Paradise“, und die Pilzköpfe heißen Robert de Niro, Jonathan Warden und Gerrit Graham.

New York 1968. Paul (Jonathan Warden) will sich vor dem Vietnamkrieg drücken; Jon und Lloyd spielen ihm vor, wie er der Musterungsbehörde einen rechtsradikalen Homosexuellen vorspielen soll. Lloyd (Gerrit Graham) glaubt, daß der Bericht der Warren-Kommission über die Kennedy-Ermordung falsch ist, vergrößert Fotos wegen verdächtiger Schatten und rekonstruiert auf dem nackten Körper seiner Freundin die Einschußlöcher und Wundkanäle. Am Ende wird er selbst erschossen. Jon (Robert de Niro) ist Pornofilmer und erzählt den Frauen, er mache voyeuristische Studien für das Whitney -Museum. Am Schluß muß er nach Vietnam, mit der Elite-Truppe „Search And Destroy“, ein Fernsehteam filmt ihn, wie er im Gebüsch eine verdächtige Figur entdeckt. „Es ist nicht der Vietcong, es ist eine Frau“, sagt Jon und überredet sie zum Striptease.

Jon, Paul und Lloyd - drei Männer spielen Theater, üben Rollen ein, verwerfen sie wieder, probieren die nächste, stellen sich vor oder stellen was nach, „search and destroy“ im Großstadtdschungel. De Palma übt sich mit seinen Protagonisten in der Kunst des Nachstellens, schießt mit der Kamera statt mit Kugeln. Das Kino als Medium der Stadtguerilla.

Greetings sieht aus wie die amerikanische Fassung eines 68er Godard-Films und zugleich wie eine Art früher Down by law: Was heute John Lurie ist, war damals de Niro. Es geht um Sex und Politik, Gewalt und Langeweile. Greetings ist eine Hommage an die Musik der 60er Jahre, ein Anti-Vietnam -Film, ein Porno, der zeigt, was verboten war und zugleich die Verklemmtheit nachweist. Jon überredet eine Frau auf der Straße zum Striptease und sieht nicht, daß im Hintergrund eine Frau im geöffneten Fenster genau das tut, worum er die andere bittet. Ein Film über Sexismus und zugleich selber sexistisch. Ein Schmuddelstreifen, gedreht in zwei Wochen, für nur 43.000 Dollar; eingespielt hat er damals das dreifache.

Szenen von verblüffender Genauigkeit (und nicht ohne Selbstironie) wechseln mit mißlungenem Kunst-Kino, Antonioni -Zitaten oder Hitchcock oder Truffaut. De Palma selbst probiert aus, ist auf der Suche, hektisch, nervös, besessen. Wie Paul, Jon und Lloyd: keine der Rollen paßt zu ihnen, die Hosen sitzen nicht, und die Jacketts spannen in den Schultern.

De Palmas nächster Film fängt da an, wo Greetings aufhört. Hi Mom erzählt, wie Jon alias de Niro (mit Brille und Schnauzbart) aus Vietnam zurückkehrt, nun erst recht Voyeur, nun erst recht Guerillero. Sein Objekt: der Wohnblock gegenüber. Er observiert ihn, lernt seine Bewohner kennen, filmt Pornos (was ihm mißlingt) und eine schwarze Performance (was gelingt). Später lebt er selbst in einem der Appartements, wie ein Spion getarnt als braver Angestellter mit hysterischer Ehefrau. Und als auch das nichts nützt, sprengt er das Gebäude in die Luft. „Some funny person did this“, sagt er dem TV-Reporter auf der Straße und winkt in die Kamera: „Hi, Mom“.

Einmal noch spielt de Niro Theater. In der Performance „Be black Baby“ soll er (als weißer Cop) zusammen mit den Schwarzen das weiße Publikum einschüchtern. Sie stellen Straßenszenen nach, damit die Weißen sich vorstellen können, wie Schwarze sich fühlen. Die Weißen werden beschimpft, beraubt, verprügelt, eine Frau soll vergewaltigt werden. „Be Black Baby“, der Dokumentarfilm in de Palmas Spielfilm sprengt dessen Dimensionen, schockiert völlig unerwartet, weil der Regisseur uns im Unklaren läßt, ob das Spiel noch ein Spiel ist. Noch eine Variation über die Kunst des Nachstellens.

Als es wirklich gefährlich wird, öffnen sich unversehens die Theatertüren, die Performance ist zu Ende. „It was a great show“, beteuert einer der geschundenen Besucher. Und wir im Kino befinden uns wieder auf dem sicheren Boden der Fiktion. Der einstürzende Neubau am Ende kann da kaum noch erschüttern.

chp

„Greetings“, 1968; „Hi Mom“, 1969. Beide Filme laufen im Original, bis zum 17. im „Eiszeit“.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen