: „Die polnischen Frauen sind müde“
Jolanta Bulinska, leitendes Mitglied der polnischen „Frauenliga“ zur Lage der Frauen Im neuen Parlament sitzen weniger weibliche Mitglieder als früher ■ I N T E R V I E W
taz: Welches sind zur Zeit die wichtigsten Aufgaben und Ziele der Frauenliga?
Bulinska: Wir wollen den Frauen die Arbeit im Haushalt und im Betrieb erleichtern. Zusätzlich zu ihrem Acht-Stunden -Arbeitstag muß jede berufstätige Familienmutter noch rund fünf Stunden für den Haushalt und die Einkäufe aufbringen. Das gilt für die Mehrzahl der polnischen Frauen.
Wie machen Sie das?
Wir beraten die Frauen in Kursen und Broschüren, zum Beispiel über eine effektivere Haushaltsführung: „Mit dem Bleistift in der Hand“ heißt eine beliebte Serie, in der wir Tips geben, wie man sparsam und doch nahrhaft kocht.
Wer betreut die Kinder? Gibt es genügend Kindergartenplätze?
Nein. Das ist auch ein Problem. Leider haben wir keine eigenen Kindergärten wie die Landfrauenvereinigung. Aber wir vermitteln Plätze. Wir beraten auch in rechtlichen Fragen.
Wie sieht die technische Ausrüstung der polnischen Haushalte aus?
Ziemlich schlecht. Zur Zeit gibt es kaum Eisschränke oder Waschmaschinen zu kaufen. Wenn sie kaputt sind, gibt es keine Ersatzteile. Weil die Geräte aus verschiedenen Ländern importiert werden, aus Jugoslawien und der DDR zum Beispiel, sind die Systeme unterschiedlich. Wir haben im Sejm einen Antrag zur Vereinheitlichung eingebracht. Das könnte viel Zeit und Ärger sparen.
Welche Möglichkeiten hat die Frauenliga, auf die Entscheidungen des Sejm einzuwirken?
Wir haben circa 600.000 Mitglieder und können Druck auf die weiblichen Abgeordneten ausüben. Zur Zeit sind es 62 von 460 Sitzen im Sejm, der 1. Abgeordnetenkammer, und sechs von 100 Sitzen im Senat. Etwa zehn bis 20 von ihnen gehören zur Frauenliga. Insgesamt sind etwas weniger Frauen gewählt worden als beim vorigen Mal.
Wie kommt das?
Ich glaube, die Wählerinnen trauen den Männern mehr Energie und Durchsetzungskraft zu. Hinzu kommt, daß wir schlechte Erfahrungen gemacht haben. Früher mußte in jedem Parlamentsausschuß mindestens eine Frau sitzen. Weil sie aber zugleich auch noch Arbeiterin oder Bäuerin oder aus einer bestimmten Region sein mußte, kamen nicht die richtigen Frauen auf diese Plätze. Das war ein Fehlschlag. Wir haben es wieder aufgegeben.
Warum gibt es in Polen so wenige Frauen in Spitzenpositionen?
Ganz sicher ist das keine Frage der Emanzipation. Die polnischen Frauen sind vielleicht überemanzipiert, weil sie nach dem Kriege alles machen mußten: Straßen bauen, Kräne führen, studieren, Kinder kriegen, den Haushalt schmeißen. Es ist aber immer schwieriger geworden, das alles zu vereinbaren. Ich glaube, die polnischen Frauen sind müde geworden. Sie sehnen sich danach, nicht mehr arbeiten zu müssen. Aber in den meisten Familien reicht ein Gehalt nicht zum Leben.
Wie steht die Frauenliga zur Abtreibung?
Grundsätzlich wollen wir die alte Regelung beibehalten: Jede Frau soll selbst entscheiden können. Mit Gefängnisstrafen ist das nicht zu regeln. Aber Abtreibung kann nur eine Notlösung sein. Wir müssen mehr Aufklärung in den Schulen betreiben und bessere Verhütungsmittel haben. Dann wäre eine Indikationenregelung wie in der BRD das beste.
Wenn das Leben von Mutter und Kind bedroht ist, wenn die Eltern drogenabhängig oder alkoholkrank sind, nach einer Vergewaltigung zum Beispiel, muß Abtreibung legal sein. Soziale Gründe sollten keine Rolle spielen. Bei uns in Polen sagt man: „Wenn Gott ein Kind gibt, dann findet er auch die Mittel, es zu ernähren.“ Ich meine, daß es bei uns sehr wenig oder gar keine Familien gibt, die unter so schlechten sozialen Bedingungen leben, daß sie durch ein Kind zu stark belastet wären.
Interview: Gitta Schaaf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen