: Die Abtreibung der Frauenfrage in Polen
■ Große Mehrheit der Polinnen und Polen spricht sich in Meinungsumfragen dafür aus, abtreibende Frauen und Ärzte zu bestrafen / Aber Abtreibung ist einzig funktionierende „Verhütungsmethode / Katholische Kirche dominiert Auseinandersetzungen um Sexualität und Moral
Gitta Schaaf
Im großen Sitzungssaal des Sejm (1. Abgeordnetenkammer) hat sich die Solidarnosc-Fraktion versammelt, um den Ministerpräsidenen Tadeusz Mazowiecki nach seinem Programm für die künftige Regierung zu befragen.
„Was gedenken Sie als Premier in der Abtreibungsfrage zu unternehmen? Werden Sie dem Massenmorden endlich ein Ende setzen?“ - ein energischer junger Mann, Karrieretyp im grauen Anzug, will das wissen. Er wird sich noch gedulden müssen: Mazowiecki zog sich ganz einfach aus der Affäre, indem er nicht darauf antwortete. Sonst wäre er auch in Teufels Küche gekommen, denn an der Abtreibungsfrage scheiden sich in Polen die Geister. Quer durch alle Parteien.
Nicht zufällig wurde diese Frage von einem Mann gestellt, denn Männer waren es schließlich, katholische Abgeordnete, die eine Gesetzesänderung zur Bestrafung der Abtreibung eingebracht hatten Anfang dieses Jahres - ohne Rücksicht auf die realen Verhältnisse und die Not der polnischen Frauen. Es sind Dogmatiker, die mit dem hehren Anspruch von „Lebensschützern“ auftreten, um den Frauen ein Recht streitig zu machen, das sie seit 1956 hatten. Das Klima für ihren Vorstoß ist günstig, denn die Führer der demokratischen Revolution sind strenge Katholiken. Allen voran Lech Walesa und seine Frau Danuta. Aber welche polnische Familie kann sich heutzutage schon acht Kinder leisten wie diese? Das Einkommen des Ehemannes reiht in den meisten Familien nicht einmal zum nackten Überleben. Von solchen Tatsachen läßt sich allerdings der polnische Papst nicht irritieren, wenn er sowohl Verhütung als auch Abtreibung verbietet. Er ist nicht nur das geistliche Oberhaupt aller polnischen Katholiken, sondern zugleich Symbol der Einheit der Nation. Jeder gute Pole ist irgendwo auch ein bißchen katholisch, sogar als Kommunist. In der Abtreibungsdebatte wird dann auch meist gar nicht erst bezweifelt, daß es sich um eine unmoralische, verwerfliche Tat handelt; es geht eigentlich immer nur um die Wiedereinführung der Gefängnisstrafe und deren Effektivität. Der große Protest gegen diese Gesetzesinitiative blieb aus.
Ende Mai versammelten sich ein paar Frauen zu einer Demonstration gegen das geplante Abtreibungsgesetz am Kopernikus-Denkmal von Warschau. „Gegen die rote und schwarze Gewalt!“ stand auf ihren Transparenten. Eine Rednerin: „Wie denken sich die Herren Abgeordneten und die hochwürdigen Herren aus der Kirche das eigentlich? Soll eine Arbeiterfrau, die schon fünf Kinder hat, ins Gefängnis, weil sie abtreiben ließ, um nicht unter der Last der Arbeit völlig zusammenzubrechen?“
Niemand weiß genau, wieviele Abtreibungen es jährlich in Polen gibt. Das Gesundheitsministerium schätzt, daß es rund 300.000 sind, darunter 90.000 Frauen, die mit Unterleibsblutungen in die Krankenhäuser eingeliefert werden, weil sie sich einem Kurpfuscher anvertraut haben. Aber: Seit Einführung der Straffreiheit für Abtreibungen 1956 ist die Anzahl der Komplikationen drastisch zurückgegangen, und Todesfälle bei Mutter und Kind kommen so gut wie gar nicht mehr vor, sagt Prof. Izabela Planeta -Malecka, Gesundheitsministerin im vorigen Kabinett. Die offizielle Zahl ist aber irreführend, weil sie nicht die Frauen erfaßt, die in den 1.200 gynäkologischen Privatkliniken abtreiben.
Demographen schätzen die tatsächliche Anzahl der jährlichen Abtreibungen in Polen auf 620.000, die Kirche sogar auf eine Million. Das würde bedeuten, daß die Hälfte aller Schwangerschaften in Polen abgebrochen wird, mehr als irgendwo anders in der Welt. Abtreibung ist in Polen das Verhütungsmittel Nummer eins. Warum? „Patentex Oval gibt's nur
gegen Devisen“
Elsbieta, 19, Studentin:
„Die Pillen, die hier zu kaufen sind, enthalten zu viele Hormone. Die sind vielleicht fürs Vieh geeignet. Ich hab's versucht, aber ich vertrag‘ sie nicht.“
Teresa, 28, Putzfrau, verheiratet, zwei Kinder:
„Mein Arzt verschreibt mir die Pille nicht. Er meint, ich sei doch jung und kräftig und könne noch viele Kinder haben. Aber wie soll das gehen? Wir wohnen alle in einem einzigen Zimmer bei meinen Eltern. An eine eigene Wohnung ist überhaupt nicht zu denken - nach der Preiserhöhung vom 1.August reicht das Geld kaum zum Essen!“
Danuta, 36, Verkäuferin:
„Pille und Spirale sind viel zu teuer. Kann ich mir nicht leisten. Patentex-Oval wär‘ gut. Aber das gibt's nur gegen Devisen. Wer hier keine Dollars hat, ist ein armes Schwein. Kondome? Dasselbe: Unsere taugen nichts, westliche sind zu teuer.“
Slawka, 20, Restaurateurin:
„Die Kirche verbietet Verhütungsmittel und Abtreibung. Das finde ich auch ganz richtig. Die Frauen wollen nur ihr Vergnügen haben, aber nicht dafür bezahlen. Lieber ermorden sie das Kind in ihrem Leib!“
Miona, 42, Bäuerin, verheiratet, vier Kinder:
„Der Papst ist gegen die Pille. Wenn ich sie nehme, begehe ich jeden Tag eine Sünde. Ich hatte schon vier Abtreibungen. Das war Pech. Wir haben nicht richtig aufgepaßt. Natürlich ist das auch Sünde. Aber die muß ich dem Pfarrer nur einmal beichten...“
Der Jugend fehlt die sexuelle Aufklärung. Der voreheliche Geschlechtsverkehr nimmt aber zu. So erklärt sich die steigende Zahl minderjähriger Schwangerer. Sex ist tabu in der katholischen Gesellschaft. Sexualkunde kläglich gescheitert
1986 ist das Erziehungsministerium mit seinem „Sexualkunde -Projekt“ kläglich gescheitert. Zwei Stunden im Monat waren dafür vorgesehen - in den höheren Klassen. Aber das erste Lehrbuch für dieses Projekt rief einen Sturm der Entrüstung hervor. Priester, katholische Journalisten und Moralisten aller Art empörten sich besonders über den Autor Wieslaw Sokoluk, der nicht gegen den vorehelichen Geschlechtsverkehr zu Felde zog, den Gebrauch von Verhütungsmitteln empfahl und die Abtreibung nicht ausdrücklich verdammte. Eine Kommission aus Wissenschaftlern, Ärzten und Lehrern wurde vom Erziehungsministerium zur Begutachtung eingesetzt. Sie zog den Stein des Anstoßes aus dem Verkehr.
In der Verurteilung der Abtreibung stehen die polnischen Jugendlichen nicht hinter den Eltern zurück. Nach neuesten Umfragen von CBOS (Zentrum zur Erforschung der öffentlichen Meinung) meinen 74 Prozent, daß die Abtreibung ein ernstes öffentliches Problem in Polen sei. Eine entscheidende Mehrheit der Befragten ist mit den bevorstehenden Gesetzen unzufrieden. Mehr als 38 Prozent der Absolventen höherer Schulen möchte, daß der Sejm das vorgeschlagene Gesetz zum „Schutz des werdenden Lebens“ verabschiedet. Mehr als 36 Prozent wünscht das bestehende Gesetz beizubehalten, aber das Recht auf Abtreibung nur auf genau definierte Fälle zu begrenzen. Nur 14 Prozent wollen statt der vorgeschlagenen Gesetzesänderung das alte Gesetz beibehalten. 76 Prozent waren für die Bestrafung der abtreibenden Frauen, 62 Prozent wollten den Arzt bestrafen und 42 Prozent auch den Vater des Kindes.
Gegen eine generelle Bestrafung der Abtreibung hat sich die polnische Frauenliga ausgesprochen (circa 600.000 Mitglieder). Sie plädiert für die Selbstbestimmung der Frau. In ihrem offiziellen Dokument vom April 1989 Über die Freigabe der Abtreibung heißt es, daß das Gesetz von 1956 „keine Abtreibung propagiert, sondern nur als letzte Notlösung zuläßt. Es schränkt die Freiheit der Wahl für keine Frau ein.“ Aber auch in ihren Reihen tendieren manche Frauen zu einer strengeren Praxis. (Siehe Interview.)
Ganz klar gegen jede Bevormundung von Frauen haben sich bisher nur einige Feministinnen der Warschauer Universität gewehrt. Sie sammelten einige hundert Unterschriften für einen Brief an den Sejm, in dem es heißt: „Bisher ist noch keine Frau und noch kein Arzt gezwungen worden, eine Abtreibung wider Willen vorzunehmen. Und das ist der Grundsatz des bestehenden Gesetzes. Es erlaubt die Freiheit der Wahl. Die Entscheidung, eine Schwangerschaft abzubrechen, ist oft der Weg des geringeren Übels für die Frau, die Familie, die Gesellschaft.“
Wie der neue Sejm entscheiden wird, läßt sich noch nicht absehen. Das hängt sicher auch davon ab, wer Gesundheitsminister(in) wird! Allerdings wäre die Wahl einer Frau noch keine Garantie für eine frauenfreundliche Politik.
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