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AUSWÄRTSSPIEL

■ Simcha Roodenburg und Krijn de Koning in der Galerie Vincenz Sala

Einer der ersten Eröffnungsbesucher war ein von seinen Eltern (offenbar nolens volens) mitgebrachter kleiner Junge. Etwa zehn und schon selbstbewußt genug, das Angebot eines Bechers Orangensaft mit einem mürrisch im Wegdrehen gemurmelten „Orangensaft hängt mir zum Halse raus!“ zu kommentieren. Später erklärte das kleine Monster zu einer der ausgestellten Arbeiten, einem raumfüllenden Objekt/Bild von Krijn de Koning, die Hütte sei ja ganz schön, aber da fehle die Tür zum Reingehen. Die Bemerkung zitiere ich nicht im Glauben, Kindermund täte Wahrheit kund, sondern weil mit dem Beklagen der Unbetretbarkeit der „Hütte“ - und die Assoziation „Hütte“ deckt sich auch mit einem erwachseneren Eindruck von der Arbeit - zugleich die Unverschließbarkeit des Objekts, mangels Tür, begriffen war.

In der Tat, mit dem Theater um die Verschließbarkeit und Entschlüsselbarkeit ist Koning, und ist auch Roodenburg nicht befaßt. Ihre Arbeit ist nicht infiziert von der Verschlußsachenmentalität, die in der Kunst mit dem Betrachter und im Zweifel mit sich selbst Des Kaisers neue Kleider spielt: wo man eingeladen ist, vielsagend schweigendes Bescheidwissen oder leichtgewichtig theoretisierendes Eingeweihtsein zur Schau zu tragen. Die Arbeiten der beiden Niederländer, die in knappen vier Wochen am Ort der Ausstellung, in der Galerie Vincenz Sala selbst, entstanden sind, haben eine Evidenz, die an der Oberfläche, im Material und im bespielten Raum angesiedelt ist. Ihre Folgerichtigkeit ist nicht die eines einzulösenden Bildprogramms, sondern die des Materials.

In meiner derzeitigen Krimilektüre, Jim Thompsons The nothingman - die glückliche Empfehlung eines Freundes erklärt der Titelheld: „Ich persönlich glaube stark an die Technik der bloßen Darlegung im Gegensatz zur Erläutung.“ Ich auch:

Koning und Roodenburg arbeiten beide ganz überwiegend mit Abfallholz. Roodenburg ausschließlich mit den schweren, abgelegenen und graubraun geregneten Brettern und Balken des Straßenbaus. Koning, verführbarer, mit allem, was sich finden läßt, und nicht nur mit Holz. Seine „Hütte“ hatte sich der Reste eines wunderschönen blauen Bretterzauns bedient. Sie ist in den Fünf-mal-zwei-Meter-Raum so eingepaßt, daß kaum Platz bleibt zum Drumherumgehen. Ein etwa halbmeterhoher, einszehn breiter und langgezogener Podest, daran, ein Stück weit daraufgesetzt, in der hinteren Hälfte des Raums ein wieder etwa halbmeterbreites, zweifünfzig hohes halbes Tor. So fragil wie eine schnell gezimmerte Theaterrequisite, richtiger: fragil wie eben eine Hütte. Podest und Tor sind mit den vielleicht acht Zentimeter breiten blauen Zaunleisten verkleidet, eingefaßt an allen Kanten mit Stücken weiß beschichteter Spanplatte. Ein Blau, weiß gerahmt. Daneben eine nicht ganz mannshohe, sehr schmale Säule. Wie gehabt: blauverwitterte Zaunleisten

-die Farbe springt ab - weiß eingefaßt. Die Säule steht daneben, außerhalb des Noch-Abbildenden. Vielleicht ist sie das Maß. Sie vermittelt zum vorgegebenen Raum, der ist Teil der Arbeit. Die Arbeit ist Objekt/Bild - von Bild spricht Koning selbst -, wohl nicht Skulptur. Denn Raumauffassung und Ausführung sind skizzenhaft wie eine Zeichnung, und die Materialverwendung erinnert ans Verfahren „Assemblage“.

Roodenburg dagegen - das Metaphorische des Umgangssprachlichen auch beim Wort genommen - klotzt und brettert. Das festmeterweise herangeschaffte Schwerstholz türmt sich über ein sichtlich geordnetes, aber unnachvollziehbares Gewirr von Vernutungen und Steckverbindungen - kein Nagel, keine Schraube (!). Ein flacher, eine Bretterbreite hoher, Einsdreißig-mal -einsdreißig-Podest, an allen vier Ecken vielleicht achtzig Zentimeter schwere Holzbohle und darauf ein umgedrehtes, pyramidenförmiges Gebilde, das nach oben zur Decke hin auslädt. Fast übermannshoch, so daß die Aufsicht schwerfällt. Ins Innere läßt sich von der Seite schielen, in ein unverstehbares Wirrwarr. Ein groß und wild gewordenes Laubsägearbeiten, das mit Lärmschutz und diversen Motorsägen bewaffnet das Sytem Vernutung mit systemvernichtender Obsession betreibt. Ein wildwuchernder Baukasten, dem es nicht mehr darum geht, die Welt aufzulösen in Quadrate, Dreiecke und Säulen. Nichts wird abgebildet, nur Zerlegbarkeit demonstriert. Das Ding steht - breitbeinig, wetterfest, unvernichtbar.

Felix Huber

Die Ausstellung von Simcha Roodenburg und Krijn de Koning ist noch bis zum 23. September in der Galerie Vincenz Sala, Potsdamer Str. 97, von 19 bis 21 Uhr zu sehen.

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