: Tabus brechen - Silos bauen
■ Mit Großprojekten - notfalls auch auf der grünen Wiese - will der Bausenator dem Wohnungsmangel begegnen / Bis Ende des Jahres fehlen 30.000 Wohnungen
Bausenator Nagel startet durch. Gestern hat der Senat seiner politischen Bewertung der Wohnungsmarktlage zugestimmt. Damit ist die Grundlage gelegt für seinen erklärten Wunsch, statt der in der Koalitionsvereinbarung verabredeten 28.000, 35.000 Wohnungen bis zum Ende der Legislaturperiode zu bauen. Noch wurde zwar keine Zahl festgelegt, aber alle Senatsverwaltungen haben den Auftrag bekommen, in ihrem Bereich nach zusätzlichen Flächen zu suchen, auf denen Nagel bauen kann.
Und dafür müßten auch „Tabus gebrochen werden“, sagte Nagel gestern nach der Senatssitzung. Das hieße z. B. Wasserwege und Uferzonen. Es gebe insgesamt 65 Quadratkilometer industrielle Brachflächen oder Lagergebiete. Wenn man nur die Hälfte davon bebauen würde, hätte Berlin 30.000 Wohnungen mehr. Nagel will auch an die Grünflächen ran. Warum nicht den Spreebogen bebauen oder das Diplomatenviertel? Das seien hervorragende Wohngegenden. Auch das Tabu der „Berliner Höhe“ will er brechen. Die Stadt wird Hochhäuser bekommen. Und zuletzt - „Warum nicht?“ dürften auch die Felder nicht ausgespart bleiben. Später einemal könnten wir dann unter veränderten politischen Rahmenbedingungen durch das „Loch in der Mauer“ unseren Kindern die Felder im Osten zeigen. Von den Kleingärtnern allerdings will Nagel die Finger lassen, da sei der „politische Preis“ zu hoch. Auf jeden Fall werde man „Großprojekte“ machen müssen, sagte Nagel. Das eine, das derzeit geplant sei, - der Moabiter Werder mit 1.200 Wohneinheiten - sei nicht ausreichend.
Eine „außerordentliche Herausforderung“ nannte Nagel die derzeitige Lage der Stadt. Sie sei durchaus vergleichbar mit der Situation nach dem Mauerbau, obwohl damals „ungleich viel mehr“ Menschen in die Stadt gekommen seien. Man könne den Kopf jetzt nicht in den Sand stecken und müsse die Situation als „Chance“ sehen. Nagel wehrte sich gegen eine Diskussion unter der Prämisse „Das Boot ist voll“. Vor einigen Jahren habe man über Berlin als „sterbende Stadt“ diskutiert und Bevölkerungszahlen von 1,7 Mio. prognostiziert, heute seien es 2,1 Mio., „und jetzt ist es uns auch wieder nicht recht“. 1987 gab es ein rechnerisches Defizit von 400 Wohnungen - bis Ende dieses Jahres rechnet man mit 30.000 fehlenden Wohnungen.
Unter diesen Voraussetzungen sei der Flächennutzungsplan jetzt nur noch „Makulatur“. Alles, was unter Wohnungsflächen ausgewiesen sei, sei mit „intensiver Kleinwirtschaft“ belegt. Noch nicht einmal für die geplanten 28.000 Wohnungen stünden Flächen zur Verfügung. Die Vorschläge der AL, man soll erst einmal den Leerstand beseitigen, wischt Nagel mit links vom Tisch. Grade mal 6.000 Wohnungen stünden leer, viele davon seien im Modernisierungsverfahren und von daher gar nicht verfügbar. Und „die paar hundert“ Wohnungen, die man mit der Bebauung von Straßenland schaffen kann, könnten den Wohnungsnotstand der nächsten zehn Jahre nicht beseitigen. Den Hauptkonflikt allerdings sieht Nagel gar nicht mit der Alternativen Liste. „Der Konflikt entsteht vor Ort.“
bf
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